Ansturm von Down Under

Erik Zabel war auf den flachen Etappen der Tour de France wie immer der Mann in Grün, doch die Entdeckung der ersten Woche bildete die Delegation der Sprinter aus dem fernen Australien

von MATTI LIESKE

Wenn Erik Zabel einmal mit seinen größten Rivalen um Etappensiege und das Grüne Trikot bei der Tour de France ein Bierchen trinken ginge, was er vermutlich nicht tut, dann käme er sich vor wie in einer Spelunke im australischen Outback. Seit der Belgier Tom Steels wegen Krankheit ausgestiegen ist und gestern nach seinem schweren Sturz vom Samstag auch der Spanier Oscar Freire nicht mehr zur 8. Etappe antrat, hat es der 32-jährige Telekom-Kapitän praktisch nur noch mit Radprofis von Down Under zu tun. Robbie McEwen hat bereits eine Etappe gewonnen und ist ihm am dichtesten auf den Fersen, der 23-jährige Baden Cooke ist eine ständige Bedrohung, ebenso wie Stuart O’Grady, der Zabel bereits im letzten Jahr fast das begehrte Leibchen weggeschnappt hätte. Am Samstag kam plötzlich auch noch Bradley McGee zum Vorschein und holte sich mit einem geschickten Vorstoß auf der Zielgeraden den Sieg in Avranches.

Zählt man noch Cadel Evans hinzu, der das wohl größte Talent, bei der Tour aber nicht am Start ist, lässt sich eine erstaunliche Entwicklung im Straßenradsport konstatieren. Schließlich waren noch vor einigen Jahren Australier wie etwa Phil Anderson absolute Ausnahmeerscheinungen. Allerdings brachte das Land schon immer starke Bahnfahrer hervor, die gern zu Sechstagerennen nach Europa kamen. In jüngerer Zeit schult das Australian Institute of Sport die Spitzenkräfte jedoch zunehmend auf den prestigeträchtigeren Straßensport um und profitiert zudem von den immensen Geldsummen, welche die australische Regierung vor den Olympischen Spielen von Sydney in den heimischen Sport investierte, um bei Olympia im eigenen Land gebührend abzusahnen. Was dann auch bestens gelang. Sowohl Cooke als auch der 26-jährige McGee waren starke Bahnfahrer. Letzterer gewann in Sydney eine Bronzemedaille in der Verfolgung.

Heute fahren sie gemeinsam beim Rennstall Française des Jeux, wo McGee eigentlich derjenige ist, der für Baden Cooke die Sprints anzieht. Die Steigung auf der Zielgeraden in Avranches erlaubte es ihm jedoch, sich im richtigen Moment abzusetzen. Cooke selbst war einige Male vorn dabei, ohne den großen Coup zu schaffen, konnte sich als Newcomer aber immerhin den Respekt des Altmeisters erwerben. „Er hat mich wirklich beeindruckt“, sagte Zabel, „wenn er weiter so fährt, kann er ein echter Herausforderer werden.“ Cooke ging das Lob hinunter wie ein ordentliches Pint Victoria Bitter. „Zabel und Cipollini waren meine Helden, als ich jünger war, es ist gut, von ihm erwähnt zu werden.“

Natürlich bringen die Aussies auch jene Zähigkeit mit, die als Markenzeichen ihrer Sportler gilt. So wie Lleyton Hewitt auf dem Tennisplatz, beißen sie sich im Rennen durch. Brad McGee war am Samstag kurz vor seiner Attacke noch in einen der verheerenden Stürze auf den letzten Kilometern verwickelt, der etwa Lance Armstrong um 27 Sekunden zurückwarf. Und als Stuart O’Grady während der 3. Etappe zehn Minuten lang wegen Herzrhythmusstörungen behandelt werden musste, sprintete er am Ende trotzdem mit und wurde noch Zehnter.

O’Grady kommt diesmal als Herausforderer von Zabel wohl nicht mehr in Frage, dafür aber Robbie McEwen, der nur knapp hinter dem Telekom-Sprinter liegt. Wichtig wird sein, wie die flinken Burschen über die Berge kommen, denn jetzt schlägt erst einmal die Stunde von Armstrong und Co. Nach dem heutigen Zeitfahren geht es am Donnerstag in die Pyrenäen – ein Terrain, in dem sich die Australier noch längst nicht so zu Hause fühlen wie im Pulk der Sprinter.