LOVE PARADES IN BERLIN SIND VORBEI. MAL SCHAUEN, WAS NUN KOMMT: Lackmustest der Metropolentauglichkeit
Ein trauriges Bild für Berlin. Da stehen irgendwo in Prenzlauer Berg zwei junge Männer vor ihrem Münchner BMW, lassen die geölten Oberkörper zu Techno-Beats kreisen, schauen cool durch ihre verspiegelten Sonnenbrillen, und keiner beachtet sie. Nicht einmal die sechzehnjährigen Mädchen, die es an diesem Samstag lieber zum Baden an den See statt zur Love Parade in den Tiergarten zieht. Eine Berliner Institution hat sich halbiert und damit überlebt. Nur noch 500.000 Raver kamen zur diesjährigen 14. Love Parade, nachdem schon im vergangenen Jahr der Andrang weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben war. Ist Berlin, der Gründungsort von Techno, illegalen Clubs und Love Parade, plötzlich out geworden?
Andere Events behaupten das Gegenteil. Der Karneval der Kulturen, dieser multikulturelle Gegenentwurf zum importierten rheinischen Frohsinn, wächst von Jahr zu Jahr, und auch der Christopher Street Day hat noch lange nicht seinen Zenit erreicht. Nicht Berlin ist also out, sondern eine Love Parade, die am Ende nur noch die deutsche Provinz in ihre Hauptstadt lockte.
Das mag bitter sein für das Berlin-Marketing, der Marke Berlin dagegen tut es keinen Abbruch. Es ist gerade nicht das bemüht Schrille, das Berlin unter jungen Franzosen, Amerikanern und Osteuropäern zur attraktivsten Stadt in Europa macht, sondern das Widersprüchliche, das Unfertige, das in die Zukunft Offene. Aus diesem Grunde hat der Musikkonzern Universal seinen Hauptsitz in den Stadtteil Friedrichshain verlegt, aus diesem Grunde zieht es immer mehr Künstler an den Alexanderplatz oder selbst in die Plattenbauten von Hellersdorf, und aus diesem Grunde konnte einst auch ein DJ namens Dr. Motte den mehr als zehnjährigen Siegeszug seiner Love Parade starten.
Bleibt die Spannung auf die Nachlese. Einen Veranstalter, der bis zum bitteren Ende weitermacht, unterscheidet sich wohl ebenso wenig von Münchner BMW-Fahrern wie die „Rettet unseren Tiergarten“-Fraktion, die nun hörbar aufatmet. Die Frage, wie schnell Berlin den Verlust der Love Parade überwindet und Lust auf Neues demonstriert, ist auch ein Lackmustest seiner Metropolentauglichkeit. UWE RADA
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