Ein Ja zum Pudding

Gewalt will gelernt sein: Bei den Internationalen Filmfestspielen Karlovy Vary hat das wunderbar funktioniert. Außerdem gab‘s pädagogische Lehrstücke, die bestimmt bald im Fernsehen laufen

von DIETRICH KUHLBRODT

Sean Connery hat abgesagt, aber die Schüler und Studenten sind da. Sandalen, Tops und die eingerollte Matte auf dem Rucksack. Zu 90 Prozent ist Karlsbad ein Campus-Festival. Jubel, Applaus und vehemente Zustimmung zum Studispielfilm „Euro Pudding“ (L'auberge espagnole). Eine Weltpremiere im Wettbewerb und die Wiedererkennung schlechthin. Die Europäische Kommission hätte sich keinen besseren Werbefilm ausdenken können. Dramaturgisch war es notwendig gewesen, auf das angestaubte Modell der Wohngemeinschaft zurückzukommen. Wir sind in Barcelona und haben mit repräsentativen Erstsemestern der führenden Euroländer zu tun. Es sind hetero- und bisexuelle Beziehungen zu klären. Auch sind sprachliche Barrieren zu überwinden. Kein Vorbild ist das Entweder-oder von Spanisch oder Katalanisch. Die Zukunft gehört dem Sowohl-als-auch der Bi- oder Multilingualität. Ein Ja zum Pudding!

Regisseur Cédric Klapisch hat die leckere Botschaft angerichtet. Seine Jungeuropäer sind liebenswert. Man stimmt überein. Die Details stimmen. Das ist im Einzelnen gut beobachtet. Ein feiner Film. Der kommt garantiert ins Kino.

Auch ich war im Erstsemester begeistert gewesen, mich in der multinationalen Studentengemeinschaft zu baden. Genauer war es um Skifahren gegangen, und zwar nicht hier im Erzgebirge, sondern in den Alpen. Am Silvesterabend hatte ich es klasse gefunden, mit dem Käfer die gefrorene Piste unter dem Skilift hochzufahren. Ich blieb stecken. Ich ging zurück. Die Gemeinschaft hob das Auto an, drehte es talwärts. Wir fuhren zu neunt wieder zum Partyhaus. – Ich brauche nicht ausführlicher zu werden. Die Autoanekdoten stehen im Kuhlbrodtbuch. Ein Vorabdruck erscheint morgen in der Jungle World.

Der Einwand liegt nahe, dass weder besonnte Vergangenheit noch Träume von einer schönen Eurozukunft, mag das im Detail auch authentisch sein bis zum Anschlag – dass das nicht weiterhilft, wenn man dabei ist, wie Skins Gewalt gegen Ausländer ausüben. Was ist zu tun? Michael Sedlacek, 35, empfiehlt in seinem Kurzspielfilm „Trainwreck“ (Naraz): Notbremse ziehen! Der Ratschlag ist pädagogisch an der Columbia University, New York, ausgearbeitet worden. Dort studiert der Pilsener Regie. Dramaturgisch war es daher nötig gewesen, den Film in ein Zugabteil zu verlegen. Die Exposition ist tadellos. Gut beobachtet wird das Verhalten der Abteilgemeinschaft. Zur rechten Zeit zieht einer am roten Griff. Der Zug hält in der Pampa. Die Polizei ist da und führt die Skins ab. Die Zuschauer sind begeistert. Applaus. Der Lehrfilm kommt garantiert in den Sender.

Von den Karlsbader Märchenfilmen ist nichts zu befürchten. Sie nehmen die Furcht. Man ist eins mit allen. Everything okay; wir sind in Karlsbad. Die malerische, generationsübergreifend geliebte Stadt gab 1819 ihren Namen für die Beschlüsse her, durch die zur Zeit der großen Restauration Metternich die Freiheit der Universitäten abschaffte. Die Studenten, die mit der politischen Erstarrung Deutschlands unzufrieden waren, wurden kriminalisiert. Bücher sowie Zeitungen wurden rigoros zensiert, die Lehrenden und die Studierenden durch die Zentrale Untersuchungskommission (Mainz) überwacht. Aus Angst vor revolutionären Umtrieben wurde durch die Karlsbader Beschlüsse die demokratische Entwicklung Deutschlands verhindert, und zwar nachhaltig. Wir haben jetzt 2002, und dafür, dass sich in Europa die restaurative Rechtswende durchsetzt, haben wir keine neuen Beschlüsse nötig. Karlsbad hat Tradition.

Und doch lauert unterm Grund die Gewalt. Den Internationalen Filmfestspielen Karlovy Vary ist anzurechnen, dass sie die Latenzen, auf die wir uns gefasst machen können, auf die Leinwand brachten. Selbst wenn die Umtriebe, noch zaghaft und verzweifelt, aus dem Urreich des Bösen kommen, aus den USA zur Zeit des Völkermords an den Indianern. Der Indianer Chris Eyre, 31, klagt mit seinem Spielfilm „Skins“ (Rot-Häute) die staatlich beschlossene Degeneration seines Volkes im Pine-Ridge-Getto an. Ganz ohne pädagogische Beratung durch die Columbia University versucht sich sein Held an Widerstandsaktionen. Die Alkoholschänke in Brand setzen? Das war’s nicht. Ein Shirt anziehen, auf dem die in den Fels gehauenen Köpfe der vier US-Präsidenten durch Indianer ersetzt werden? Zu wenig. Einen Eimer roter Farbe kaufen, auf den Fels klettern und den Steinkopf bekleckern? Es muss mehr geschehen. Die Latenz ist da. Der Film belässt es dabei. Aber wer ihn sieht, weiß, das etwas passieren muss. In den USA.

Gewalt will gelernt sein. Die Filme des Koreaners Kim Ki-duk („The Isle“) zeigen es. Die Retrospektive („Real Fiction“, „Wild Animals“) wird nur auf Festivals zu sehen sein. Im Kino ist die FSK davor. – Das Festspiel in Karlsbad hat prima funktioniert. Und jetzt, bei Kim Kid-duk, applaudieren die Schüler und Studenten. Wild entschlossen. Also doch. Danke, Karlovy Vary.