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Zufälle und andere Stadtmusikanten

Bremen liegt „so außer dem Strich“, war zu provinziell und calvinistisch um als literarische Hochburg zu glänzen. Ein paar bekannte Literaten, die über und in Bremen geschrieben haben, gibt es aber doch

Literaten von Weltrang hätten die wenigsten in Bremen erwartet. Aber es gab sie: Auf Schritt und Tritt finden sich in der Innenstadt ihre Zeugnisse vom Mittelalter bis heute. Die Kulturwissenschaftlerin Kirsten Steppat erinnert auf ihren „literarischen Stadtspaziergängen“ an ihre Geschichten und Gedichte.

taz: Wie literarisch war Bremen denn eigentlich?

Kirsten Steppat: Bremen war nie eine schrecklich literarische Stadt. Das sagt ja schon der Name: Hansestadt. Es ging hier meist um Geld, Handel, um Wirtschaft. Literatur stand dagegen im Hintergrund. Aber so ein paar Schriftsteller haben wir hier doch.

Bekannte Namen?

Bekannte Namen ja, wenn auch nicht immer unbedingt in der Literaturwissenschaft: Friedrich Engels ist einer der Bekannteren, der 300 Seiten vom „kommunistischen Manifest“ hier geschrieben hat. Und sonst: Freiherr von Knigge, Rowohlt ...

Der Knigge mit dem Benimm-Ratgeber?

Genau der. Nur ist das überhaupt kein Ratgeber. Er hat nämlich eigentlich politische Traktate geschrieben, aber die sind später rausgenommen worden. Das ist auch so ein Missverständnis, auf das ich bei den Spaziergängen eingehen werde.

Nach einer richtigen literarischen Szene klingt das trotzdem alles nicht?

Ach. So die große Szene wie München oder Berlin konnten wir nicht bieten. Das waren hier eigentlich fast immer nur einzelne Schriftsteller.

Woran mangelte es denn?

Das hat zum einen was mit der Größe der Stadt zu tun, aber ganz sicher damals auch mit dem strengen Calvinismus. Der hat Literatur nicht gerade gefördert. In manchen der Texte wie bei Knigge kommt raus, dass Bremen doch sehr religiös und provinziell gewesen sein muss. Und langweilig, weil alle nur am Handel interessiert sind und eigentlich sonst nicht viel passiert. Also ich fürchte, unser Image da draußen unter den Literaten war nicht so gut.

Das hat sich bis heute wahrscheinlich nicht verändert...

Was den internationalen Ruf angeht, wahrscheinlich nicht. Es ist natürlich alles ein bisschen offener geworden. Und es kommen auch neue Leute dazu: zum Beispiel Sujata Bhatt. Die ist absolut bekannt und geschätzt – in der englischsprachigen Welt. Nur in Bremen, in Deutschland kennt sie kaum jemand.

Und neben der Kritik an der calvinistischen Provinz: Gab es auch Positives über Bremen zu lesen?

Für Peter Weiss war Bremen sehr wichtig. Oder auch für Ringelnatz. Der war zwar nur für drei Tage in Bremen, und das nicht mit so großem Erfolg: Überall spielte er vor vollen Hallen spielte, in Bremen dagegen kamen am ersten Abend nur acht Leute. Trotzdem hat er uns das wohl nicht übel genommen.

Welche Schriftsteller leben denn heute noch hier?

Sujata Bhatt eben. Und ihr Ehemann Michael Augustin von Radio Bremen, der ganz entzückende Gedichte und kurze Prosastücke schreibt. Das ist eindeutig einer unserer lokalen literarischen Helden. Um nur zwei zu nennen.

Welche Orte in Bremen haben die Schrifsteller denn besonders inspiriert?

Was ganz spannend ist: das ehemalige Polizeipräsidium. Das ist 1945 in die Luft geflogen. Und genau dieses Ereignis hat Mario Puzo, der Autor von „Der Pate“, in seinem ersten Roman „Die dunkle Arena“ aufgeschrieben. Dieser Roman spielt in Bremen – aber das wissen nur ganz wenige.

Die meisten denken doch bei Bremen wahrscheinlich nur an die Stadtmusikanten?

Damit fange ich auch meistens an, obwohl die ja eigentlich gar nicht bis Bremen gekommen sind. Außerdem gibt es diese Sage „Tiere ziehen durch die Lande ziehen, weil es ihnen zu Hause schlecht geht“ auf der ganzen Welt. Es ist fast Zufall, dass Bremen damit in Verbindung gebracht wird. Die Gebrüder Grimm haben es Bremen zugeschrieben, und dadurch kennt alle Welt jetzt die Bremer Stadtmusikanten, statt der Konstanzer oder so.

Wie kamen die Grimms denn auf Bremen?

Das wurde nie geklärt.

Was gibt es sonst auf den Spaziergängen zu sehen?

Wir fangen immer bei der Stadtbibliothek an, weil die das initiiert hat und unterstützt. Und dann geht es einmal quer durch die Stadt: Über den Domshof, zu den Stadtmusikanten, dann gehen wir runter in den Ratskeller.

Zu Wilhelm Hauff und seinen „Phantasien im Bremer Ratskeller“.

Zu Hauff und auch zu Heinrich Heine. Dann geht es rüber zum Blumenmarkt. Dann zum Roland auf den Marktplatz, da haben wir Till Eulenspiegel. Drei seiner Schwänke spielen tatsächlich in Bremen.

Heine und Eulenspiegel – das klingt ziemlich bunt gemischt.

Ja, ich versuche das schon ein bisschen zu mischen – ernstere mit leichterer Literatur –, um so eine Idee zu geben, wie diese unterschiedlichen Menschen geschrieben haben, und was sie mit Bremen verbindet. Zum Abschluss geht es dann noch mal zum Schünemann Verlag, wo wir auch noch einiges über die Verlagsgeschichte erfahren.

Wer kommt eigentlich zu den Literatur-Spaziergängen? Touristen?

Es sind interessanterweise fast nur Bremer und Bremerinnen und keine Touristen. Und meistens Leute, die schon sehr sehr lange in Bremen wohnen, und die sich dafür interessieren, ihre Stadt mal von einer ganz anderen Seite zu sehen.

Fragen: Dorothee Krumpipe

„Bremen literarisch entdecken“: Donnerstag, 18. Juli um 16 Uhr. Und am 22. August, 19. September, 24. Oktober. Treffpunkt: Stadtbibliothek. Kosten: fünf Euro. Infos: ☎ 361-47 08.

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