: Künstliche Derbheit
Irgendwie patriotisch: Thomas Kronthalers Annäherung ans Heimatfilm-Genre „Die Scheinheiligen“ gelingt nicht wirklich ein satirischer Umgang mit bajuvarischen Klischees
von JULIAN WEBER
Er habe jetzt „erst mal die Schnauze voll vom Kino“, erzählt ein sichtlich gut gelaunter Regisseur Thomas Kronthaler im Anschluss an die Pressevorführung von Die Scheinheiligen. Die üblichen Probleme mit der Filmfinanzierung sind – trotz eines Blasphemie-Vorwurfs einer Förderstelle – gemeistert. Dass es geklappt hat mit dem bundesweiten Start und er mit einem Film in bayerischer Mundart sogar persönlich bis nach Hamburg vorgedrungen ist, stimmt ihn optimistisch. Die Pressevertreter verfolgen aufmerksam die Ausführungen, wonach Kronthaler die bayerische Antwort auf Detlev Buck sei.
Die Scheinheiligen ist Kronthalers Spielfilmdebüt. Der gelernte Werkzeugmacher aus Erding hat sich dem Genre des Heimatfilms angenähert: Sein Film beruht auf der wahren Geschichte vom Kampf einer bayerischen Dorfgemeinde für ein McDonald‘s-Restaurant. Kronthalers Herangehensweise an diese Provinzposse ist mit kabarettistischen Elementen angereichert, die Tatsachen hat er grob überzeichnet. So kommt einem Foto des unvergessenen Landesvaters Franz Josef Strauß als sprechendes Gewissen eine wichtige Funktion zu. Er wolle damit nur klar machen, wie es werden könnte, wenn Edmund Stoiber tatsächlich Bundeskanzler würde, sagt Kronthaler einem Journalisten. Er sieht sich durchaus in der Tradition von Franz Xaver Kroetz, Herbert Achternbusch und Gerhard Polt – drei Autoren, die sich den Stoff für ihre grantigen Stücke ebenfalls aus ihrer nahen Umgebung holen.
Auf der Flucht vor der Polizei kommt Johannes, ein herumstreunender Holzschnitzer, in das kleine Dorf Daxenbrunn. Weil er eine Bleibe sucht, wird er von den misstrauischen Bewohnern an die störrische Bäuerin Magdalena verwiesen. Diese ist im Ort verhasst, die Gemeinde möchte auf einem ihrer Grundstücke unbedingt eine Grillstation mit Autobahnanschluss errichten, Maria rückt das Grundstück aber partout nicht heraus. Bürgermeister, Landtagsabgeordneter, Pfarrer und Polizisten, allesamt echte Amigos, versuchen erst mit sanfter Gewalt, dann mit handfesten Argumenten ihren Willen durchzusetzen. Weil niemand in Daxenbrunn einen Asylbewerber aufnehmen will, nimmt sich Maria des schwarzen Musikers Theophile an. Zusammen mit ihm und Johannes schlägt sie fortan das Unrecht zurück. Vor Bauernhofkulisse kommt es zum unvermeidlichen Showdown.
Man fühlt sich bei Die Scheinheiligen gelegentlich an bayerisches (Bauern-)Volkstheater erinnert, an Texte von Oskar Maria Graf und wie sie in den guten alten Vorabendfernsehserien aus den Siebzigern zitiert wurden. Wie seine Vorbilder hat Kronthaler ein Gespür für die Sprache der Bauern entwickelt und sich Filmfiguren mit exemplarischem Charakter ausgedacht. Da gibt es den bigotten Pfarrer und den korrupten Bürgermeister, auch die Polizisten sind bestechlich und machen von ihren Waffen ausgiebig Gebrauch. Und es gibt den kleinkriminellen Holzschnitzer, der direkt bei den Oberammergauer Passionsspielen gecastet worden sein könnte. „Ich tu Heilige umtauschen“, sagt er über seine Profession.
Die Sprache passt. Dass nun aber ländliche Derbheit ausgerechnet in eine technisch perfekte Künstlichkeit eingepflanzt wird, ist enttäuschend. Alpenpanorama und Dorfidylle in beißenden Farben werben vor allem für den Fremdenverkehr. Während Kroetz und Konsorten die bedrückende Enge der bayerischen Provinz immer auch ins Bild rücken, ist dem Nachwuchs-Regisseur vor allem die Brauchtumspflege anzumerken. Irgendwie ist diese Verballhornung des Patriotismus ihrerseits patriotisch. Bei den bayerischen Schauspielern hat er genau auf Details in der Aussprache geachtet und sogar mit einem Dialektlehrer gearbeitet. Theophile, der bongotrommelnde Musiker als „Asylant“ ist dagegen reichlich klischeebehaftet. Rassistisch, nicht satirisch, ist das. Humor für Stammtischbrüder.
Man möchte Die Scheinheiligen gerne gut finden. Man darf auch gerne über Zitate aus Italowestern, Don Camillo und Peppone lachen; wirklich Neues aber hat Kronthaler aus der Beschäftigung mit Bayern, Land und Leuten nicht gezogen. Somit fällt er hinter die Errungenschaften der Polts und Achternbuschs zurück. Für die hat es wenigstens noch echte Verbote und Zensuren gehagelt. Heute kritisiert der Bayerische Rundfunk nur noch, dass es ja gar kein echtes Bayerisch sei, was in Die Scheinheiligen gesprochen würde. Ja mei.
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