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Notfallpatient Klinikkonzern

Trotz des rigiden Sparkurses ist Vivantes hoch verschuldet und braucht dringend finanzielle Unterstützung vom Land. Betriebsrat: Einsparungen gehen schon jetzt auf Kosten der Patienten

von SABINE AM ORDE

Volker Gernhardt ist ein Kämpfer. Einer, der durchsetzen will, was er sich in den Kopf gesetzt hat. Auch wenn es Widerstände gibt. Massive Widerstände. Und die gibt es bei der Vivantes GmbH, zu der zehn städtische Krankenhäuser vor anderthalb Jahren zusammengeschlossen worden sind.

Volker Gernhardt arbeitet seit fast 25 Jahren im Krankenhaus Neukölln, das inzwischen zu Vivantes gehört. Seit acht Jahren ist er hier Betriebsratsvorsitzender. Und kämpft dagegen, dass wirtschaftliches Denken in der Klinik die Überhand gewinnt. Deshalb hat der 50-Jährige zur Unterzeichnung eines offenen Briefes aufgerufen, den eine „Aktionsgruppe“ am Krankenhaus geschrieben hat. Darin wird beklagt, dass sich „der Personal- und Bettenabbau der vergangenen Monaten negativ auf die Patientenversorgung auswirkt“. Kranke Menschen würden in ihren Betten auf Stationsfluren stehen, Patienten müssten länger auf Operationen warten. Und die Mitarbeiter seien „überfordert und ausgebrannt“. Über tausend Beschäftigte und Patienten haben den Brief unterschrieben.

Die Konzernführung hat Gernhardt zwei Abmahnungen geschickt. Jetzt droht ihm die Kündigung. Der Betriebsratschef hat inzwischen eine eidesstattliche Erklärung zum Inhalt des Briefes abgegeben, Vivantes-Chef Wolfgang Schäfer auch. Deshalb treffen sich die beiden Anfang August vor Gericht.

„Eine Luftnummer“ nennt Schäfer die Vorwürfe aus Neukölln. Wider besseres Wissen konstruiere „dieser Herr Gernhardt“ ein „Horrorszenario, das Mitarbeiter und Patienten verunsichert und vergrault“. Dass der Präsident der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz, gar von „einer Menge Beschwerden“ auch von Mitarbeitern aus anderen Vivantes-Häusern spricht, lässt Schäfer kalt. „Uns hat die Ärztekammer bislang keine Kritik mitgeteilt.“

Auch Wolfgang Schäfer ist fest entschlossen, sein Vorhaben durchzusetzen – gegen massive Widerstände. Schäfer ist kein sozial engagierter Gewerkschafter wie Gernhardt. Schäfer ist ein Klinikmanager. Sein Ziel: die städtischen Krankenhäuser zu sanieren. Dafür hat ihn die große Koalition von Kassel nach Berlin geholt. Ein Riesenprojekt.

Denn Vivantes hat einen Konstruktionsfehler. Nach jahrelangem Hickhack wurde die GmbH zum 1. Januar 2001 aus den zehn verbleibenden städtischen Krankenhäusern gegründet. Alleiniger Gesellschafter ist das Land. Und das hat sein Unternehmen nicht mit ausreichend Kapital ausgestattet. Kapital, um Personal sozialverträglich abzubauen, um die Arbeit neu zu organisieren und effizienter zu gestalten, um Altschulden zu tilgen.

Denn die hat das Land Vivantes aufgebrummt. Weil das Unternehmen weiter – wenn auch geringere – rote Zahlen schreibt, sind die Schulden auf fast 250 Millionen Euro angewachsen, hört man aus dem parlamentarischen Hauptausschuss. Vivantes selbst sagt, es sei weniger.

Für die Altschulden sollten der GmbH Grundstücke und Gebäude der städtischen Kliniken übertragen werden. Die Idee: Nicht Genutztes könne verkauft werden, um Schulden zu tilgen. „Dass das nicht funktioniert, war von vornherein klar“, sagt der grüne Finanzexperte Oliver Schruoffeneger. Bislang hat Vivantes kein einziges Grundstück verkauft – nicht einmal verkaufen können. Laut Grundbuch gehören sie nämlich noch immer dem Land. Ein Grund, warum die Opposition im Mai der Ansicht war, Vivantes stehe kurz vor dem Bankrott. Das Unternehmen war so klamm, dass es die bei der Überschreibung fälligen Grundsteuern von etwa 15 Milllionen Euro nicht hätte zahlen können. Im Juni hat der Hauptausschuss das Eigenkapital von Vivantes um über 50 Millionen Euro aufgestockt. Kurzfristig ist der Konzern also wieder liquide, kann Löhne und Steuern zahlen. Doch Vivantes braucht mehr Geld.

Durch die Liegenschaften wird vorerst wohl kein Cash fließen. Der Markt liegt am Boden. Viele Grundstücke sind zudem mit denkmalgeschützten Altbauten bestückt, die einen Verkauf erschweren. Andere werden von Vivantes noch genutzt, obwohl das eigentlich nicht mehr vorgesehen war. Der Grund: Das Land hat zugesagte Investitionen von 500 Millionen Euro fast vollständig auf Eis gelegt. „Bis auf das Klinikum Neukölln sind alle Bauinvestitionen gestoppt“, sagt Schäfer. Neu- und Umbauten wären aber auch an anderen Orten notwenig, um Areale freizuräumen. Und sie sind auch notwendig, um den Betrieb an weniger Orten effizienter zu gestalten. Der Investitionsstopp trifft Vivantes also doppelt.

Deshalb ist der Konzern zumindest auf eine Bürgschaft vom Land angewiesen. Von 230 Millionen Euro ist die Rede. Nur so bekommt Vivantes neue Bankkredite. Der Hauptausschuss hat diese Entscheidung im Juni auf Oktober vertagt. Dann soll ein Sanierungskonzept der Geschäftsführung vorliegen. Und dann steht auch die künftige Struktur der GmbH auf der Tagesordnung. Dafür gibt es sehr unterschiedliche politische Vorstellungen – auch im Senat.

Während die Finanzverwaltung möglichst schnell fremdes Kapital in den Konzern holen will, lehnt die Gesundheitsverwaltung das ab. „Wer in Vivantes investiert, will auch das Sagen haben“, sagt Gesundheitsstaatssekretär Hermann Schulte-Sasse. Minderheitsgesellschafter ließen sich kaum finden. Eine vollständige Privatisierung oder die Herauslösung einzelner Kliniken lehnt Schulte-Sasse aber ab. „Das ist derzeit kontraproduktiv.“ Die großen Klinikketten wie Rhön und Helios haben in der Senatskanzlei bereits ihr Interesse an Vivantes kundgetan.

PDS und Grüne wollen an Vivantes festhalten, die SPD hat zwar Zweifel, will die städtischen Kliniken aber auch nicht aufgeben. Die FDP dagegen will Vivantes vollständig privatisieren. Die CDU schlägt vor, die Krankenhäuser Wenckebach, Prenzlauer Berg und Hellersdorf zu privatisieren. „Diese Kliniken lässt Vivantes ausbluten“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Mario Czaja. Er glaubt, dass Vivantes mittelfristig nicht alle zehn Häuser halten kann. Nach Czajas Informationen hatte Vivantes in den ersten drei Monaten dieses Jahres 1.750 Patienten weniger als 2001. „Wenn man das hochrechnet, wird das ein großer Kundenrückgang – und Einnahmeverlust.“ Mit der Einführung eines neuen Krankenhaus-Abrechnungssystems werden die Liegezeiten weiter zurückgehen. Das wird in Berlin den Abbau von mehreren tausend Klinikbetten nach sich ziehen und die Konkurrenz um die Patienten verschärfen. Dann, ist sich Czaja sicher, werde Vivantes zwei bis drei Kliniken aufgeben. Selber schließen verhindert zusätzliche Konkurrenz.

Der Widerstand in den einzelnen Häusern wird dann weniger stark sein als in den vergangenen Jahren. Vivantes hat, so wollte es die große Koalition, eine sehr zentralistische Struktur. Schäfer hat die Kliniken, die einst unter dem Schutz einzelner Politiker der großen Koalition wie kleine Fürstentümer regiert wurden, entmachtet – die zehn Verwaltungsdirektoren hat er gleich ganz abgeschafft. Damit hat er das Fürstentum-Denken aufgeknackt, aber auch Unmut in den einzelnen Häusern gesät. „Den Mitarbeitern fehlen Ansprechpartner vor Ort“, sagt Ärztekammerchef Jonitz. „Die Unternehmenskommunikation muss dringend verbessert werden.“

Vielleicht wäre dann auch der Unmut im Klinikum Neukölln nicht ganz so groß. Doch bei vielen Beschäftigten und auch Patienten bleibt die Frage, ob Krankenhäuser unter derart harten wirtschaftlichen Vorgaben geführt werden dürfen. „Das Risiko für die Patienten steigt“, sagt Ärztekammerchef Jonitz und verweist auf die Kritik vieler Klinikmitarbeiter: Auf sie werde Druck ausgeübt, schneller zu arbeiten. Schneller, als gut für die Patienten sei.

„Gesundheit ist keine Ware, die nach betriebswirtschaftlichen Kriterien funktioniert“, betont auch der Neuköllner Betriebsratschef. Volker Gernhardt kämpft weiter für ein grundsätzliches Umdenken in der Gesundheitspolitik. Abzuwarten bleibt, ob er dies auch weiter als Betriebsratsvorsitzender tun kann.

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