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zoologie der sportlerartenPROF. HIRSCH-WURZ über den Bergfahrer

Adler und Dickmoppel

Die meiste Zeit langweilt sich der Homo pedalis montanosus zu Tode. Brummig und lustlos fährt er im Feld mit, verflucht den lieben Gott, der so elendiglich viel Flachland in die Welt gesetzt hat, und erst recht die ganzen Radfahrer, die um ihn herumschwärmen, wie die Besengten strampeln und ihn damit zwingen, Gleiches zu tun. Wenn es dem Etappenende zugeht, lässt er sich zurückfallen und rümpft angewidert die Nase über diese albernen Sprinter. Kindisches Gesocks, denkt sich der Bergfahrer, treten einen halben Kilometer lang ein bisschen in die Pedale und halten sich dabei tatsächlich für richtige Radfahrer.

So quält und mopst sich der Homo pedalis montanosus den lieben langen Tag, bis der Moment kommt, der den meisten Kollegen eine Gänsehaut des Schreckens über den Rücken jagt, ihm aber das Herz im Leibe hüpfen lässt. Der Moment nämlich, wenn in der Ferne die ersten hoch ragenden, manchmal sogar noch schneebedeckten Gipfel auftauchen. Jetzt schießt literweise Adrenalin durch seine Adern, die Augen leuchten, die Gestalt strafft sich, und ehe sich der Rest des Pelotons versieht, ist er weg und wird erst im Ziel wieder gesehen. Dort sitzt er nach einem Stündchen Mittagsschlaf gemütlich bei Pasta und Mineralwasser, während die einst so stolzen Sprintasse bleichgesichtig und ausgehöhlt die letzten Meter entlang wanken. Dann lacht der Bergfahrer grimmig in sich hinein, denkt bei sich „elende Weichlinge“, schnappt sein Rad und fährt noch schnell ein, zwei Pässe hoch, nur so zum Spaß und um nicht aus der Übung zu kommen.

Von besonderem wissenschaftlichem Interesse ist die ausgeprägte Physiognomie des Homo pedalis montanosus. Früher war er meist ein kleiner, drahtiger Mann, so winzig, dass man ihn ohne Rad gar nicht bemerkte. Das Gesicht sah selbst aus wie eine besonders karstige Gebirgslandschaft, die Arme glichen knorrigen Föhrenstämmen von knapp unterhalb der Baumgrenze, und die Waden wirkten wie besonders ergiebige Adern von Eisenerz. Meist stammte er aus gebirgigen Gegenden Spaniens, aus Italien oder gar aus Kolumbien, der Heimat des höchsten Hämatokritwertes vor Erfindung des Epo. Die erfolgreichsten Exemplare der Spezies erhielten wohltönende Ehrennamen wie etwa Adler von Toledo (Bahamontes), Pedaleur de Charme (Koblet), Vecchio (Bartali), Campionissimo (Coppi), Engel der Berge (Gaul), Lucho (Herrera), Diavolo (Chiappucci) oder Pirata (Pantani). Bewundert wurden sie vor allem, wenn es ihnen trotz Spezialisierung auf große Höhen gelang, die Tour oder den Giro zu gewinnen.

Mit dem Fortschreiten von Trainingsmethodik und Medizin änderte sich jedoch das physische Anforderungsprofil des Homo pedalis montanosus. Nun kamen auch Lulatsche wie Induráin, Büffel wie Riis, Dickmoppel wie Ullrich und sogar texanische Cowboys hurtig über Tourmalet und Galibier. Eine Entwicklung, die zu einem beklagenswerten Schwund an kolumbianischen Fahrern und vor allem Reportern führte. Was sollen wir da noch, wenn jeder Fleischklops uns locker folgen kann, dachten sie sich, bloß Santiago Botero aus Medellín sagte: „Was soll’s, gewinne ich eben auch im Zeitfahren.“

Die Kehrseite der Blüte, welche die Alphamännchen der Art des Homo pedalis montanosus in französischen Alpen, Dolomiten, Pyrenäen und asturischen Bergen erleben dürfen, ist der Homo pedalis montanosus aquaportensis, auch Edel-Domestike genannt. Der hechelt die ganze Zeit brav vorneweg, während sich der Boss an seinem Hinterrad einen gemütlichen Lance macht. Im Stile eines versierten Kellners besorgt er Speis und Trank, saust ein Konkurrent davon, raunzt der Chef bloß ein kurzes „Schnapp ihn, Shorty“, und schon flitzt der arme Kerl los und fängt den Flüchtling ein. Hat der Trottel von Kapitän dann auch noch eine Panne, muss er warten, obwohl er genau weiß, dass er die Etappe und wahrscheinlich das ganze Rennen locker gewinnen könnte, wenn er nicht diesen Heini am Hals hätte. Naht dann das Ziel und alle Kameras laufen heiß, ist er ausgepumpt zurückgefallen und wird 27., während sich sein Vorgesetzter feiern lässt. Kein Wunder, dass sein Lenker manchmal rein zufällig in dessen Speichen gerät.

Wissenschaftliche Mitarbeit:

MATTI LIESKE

Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 58, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.

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