Im goldenen Licht

Auf Bildungsmission: Die Alvin Ailey Dance Company steht für afroamerikanisches Tanztheater. Zwischen Neoklassik und Gospel zelebrierte sie beim Gastspiel in Berlins Staatsoper ihr Kunstideal

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Ob das schon immer so war? Golden vor allem, nicht schwarz erscheinen die Körper der Tänzer des Alvin Ailey American Dance Theater auf der Bühne. Die Lichtregie lässt Sterne funkeln, Sonnen untergehen und übergießt die Tänzer mit warmen Strahlen. Dieser Abglanz des Göttlichen lag über allen drei Choreografien, mit denen die legendäre Company in Berlins Staatsoper Unter den Linden auftrat.

Alvin Ailey gilt als Kultfigur der schwarzen und schwulen Communities. Im Internet kann man sein Grab besuchen, sein Horoskop studieren und natürlich seine Geschichte nachlesen: der Aufstieg von einer Kindheit in den Baumwollfeldern, die Emanzipation als afroamerikanischer Künstler in den Fünfzigerjahren, der Aufbau einer großen Company und wichtigen Ausbildungsstätte für Ballett und Modern Dance. Seit seinem Tod 1989 leitet Judith Jamison das Theater und hält den Geist ihres Mentors wach.

1960, als Schwarze noch um die Zulassung zur Ballettausbildung kämpfen mussten, entwickelte Ailey mit „Revelations“ eines seiner erfolgreichsten Stücke. Wie ein Schlussgebet beschließt „Revelations“ noch heute jedes Gastspiel. In elf Episoden zu Spirituals und Gospels bewahrte Ailey eine Erinnerung an eine Kindheit in den Südstaaten, in der Tanz, Musik, Feste und Rituale eine eigene Wirklichkeit hervorbrachten. Jeder Tänzer, der zur Company kommt, erlebt mit diesem Stück seine Initiation. In den Tanz schieben sich dabei immer wieder Ausbrüche aus allen skulpturalen Formen, mit der Ailey Neoklassik und Modern Dance fortschrieb: verspielte kleine Besessenheiten, Verschwörungen mit den Geistern, aus dem Körper hinausgeschleuderte Energien. Es sind diese Momente, in denen die Tänzer bis heute eine unmittelbare Präsenz herstellen, als ob sie diesen Tanz gerade eben für sich erfinden und nicht einer festgelegten Choreografie folgten. Das ist das Wunder des AAADT.

„Alvin hat seine eigene Agenda als Afroamerikaner geschaffen, aber er war ein Weltbürger“, sagt Judith Jamison und begründet damit die Notwendigkeit, das Image der AAADT universell auszuweiten, um nicht zum Museum der eigenen Geschichte zu werden. Jedes Jahr lädt Jamison deshalb neue Choreografen ein. Eines der jüngsten Stücke von Alonzo King, „Following the Subtle Current Upstream“, beweist die Offenheit für eine ständige Erneuerung des Vokabulars. King gehört wie William Forsyth zu den mühelosen Dekonstruktivisten der Neoklassik. Wie er mit den schlingernden, schlängelnden Wirbelsäulen die Linien der klassischen Figuren bricht, extrapoliert und zehn neue Möglichkeiten der Fortsetzung in eine bekannte Bewegung hineinschreibt, kann begeistern. Diese Körper haben ihre Wahrnehmungsfähigkeit hoch geschraubt und zeigen sich in ihrem blitzschnellen Reaktionsvermögen einer hoch technisierten Gegenwart gewachsen, ohne die Verbindung zum Grund zu verlieren.

„Serving Nia“ von Ronald K. Brown lehnt sich etwas gemütlicher an die traditionelle Graham-Technik an, aufgemischt allerdings durch afrikanische Tanzelemente aus Guinea, dem Senegal und von der Elfenbeinküste. Was diese Tänze angeht, ist in unserer Sprache und Wahrnehmung das Unterscheidungsvermögen nicht besonders ausgebildet: Peinlich ist schon, wie sich in deutschsprachigen Rezensionen die Stereotype von „trommelnden Rhythmen“ und „katzenhafter Eleganz“ wiederholen. Der Wunsch jedenfalls, sich von der Einengung durch ethnische Klischees zu befreien und sie zu durchdringen, wird bei Brown nicht nur durch die postmoderne Verschmelzung der Stile deutlich, sondern auch durch die Musikwahl. Nach einem Percussionstück aus Guinea endet „Serving Nia“ mit Gillespies „Swing Low, Sweet Cadillac“.

Zum Profil der Gruppe gehört die Vielseitigkeit der Schulen und Stile, die sie virtuos beherrschen und verschmelzen. Die Ausbildung wird groß geschrieben am AAADT, und eine bildungspolitische Mission klingt in jedem Interview an. Keine Frage, die Kompetenzen der Tänzer sind zu bewundern. Aber dennoch wird die Fortsetzung des Gestus der Eroberung einer Hochkultur befremdlich in einer Zeit, in der gerade von dieser Hochkultur nicht mehr viel Innovation und Reflexion der Gesellschaft erwartet wird. Der Hunger nach Spiritualität, die dem Gospel verwandte Ehrfurcht und Dankbarkeit für die dem Tanz innewohnende Schönheit sind dem zeitgenössischen Tanz in Europa eher fremd, der sich oft mit einem fast zynischen Verhältnis zum Körper und seiner Vermarktung auseinander setzt. In ihrem ungebrochenen Glauben an die Kraft der Kunst als Vervollkommung des Menschen, im Festhalten an einem humanistischen Ideal von umfassender Bildung ist das Alvin Ailey American Dance Theater mehr der Klassik verpflichtet als diese selbst.