Der Abschied eines grünen Jeinsagers

Es verschlug einen ehrlichen Jungen ins hohe Haus. Vom niederen Umgang dort wendet sich Christian Simmert nun ab

Wenn es das Jein nicht schon gäbe, man müsste es für Christian Simmert erfinden. Der scheidende Bundestagsabgeordnete der Grünen ist ein Meister darin, Mittelwege zu suchen, wo es eigentlich keine gibt.

Zum Beispiel im Jahr 2000. Da kokettiert Simmert auf seiner Homepage damit, der Prototyp des gläsernen Volksvertreters zu sein. Er führt penibel auf, wofür er seine Abgeordnetendiäten verwendet – unter anderem für nicht erlaubte Spenden an seine Partei. Als aber die Grünen durch Simmerts Offenherzigkeit in den Sog des Kohl’schen Spendenskandals zu geraten drohen, springt er einen Salto rückwärts: Er habe, so erklärte er unter dem Gelächter der Republik, seine Einnahme-/Ausgabe-Bilanz eben an einer Stelle falsch deklariert.

Selbst sein Abgang aus dem Parlament ist ein entschiedenes Ja und Nein. Der medienbewusste Mann hat darüber ein 268 Seiten langes Buch („Die Lobby regiert das Land“) verfasst, um sich den Frust über seine Partei von der Seele zu schreiben. Eine Generalabrechnung mit Joschka, Rezzo und den wenigen Machtmenschen, die bei den Grünen das Kommando innehaben. Aber sein Rückzug, so schiebt er nonchalant hinterher, sei gar kein politischer. Der 29-Jährige möchte mehr Zeit haben für seine Frau und seine Tochter Pia.

Mit Christian Simmerts Abschied endet zugleich ein grünes Rekrutierungsmodell. Die Partei vertritt ja keine harten Eigeninteressen von Bürgern, sondern spricht für die Rechte derer, die keine Stimme haben: die Umwelt, neuerdings die Kinder. Für diese Politik neigt die grüne Partei dazu, gewissensgeleitete Menschen anzuheuern – was beide Seiten in Nöte bringen kann: die Partei und den Menschen.

Vielleicht lässt sich das an niemandem besser studieren als an Christian Simmert. Schon die Kosovo-Entscheidung ging ihn hart an. Er war 1991 auch wegen des Golfkriegs, den er falsch fand, in die Politik gegangen. Nun war er es, dessen Stimme gebraucht wurde, um Serbien zu bombardieren. Simmert musste erfahren, dass die vom Grundgesetz so hoch geachtete Gewissensentscheidung zu einer knallharten politischen Frage werden kann – zumal, wenn es um Krieg geht und man dummerweise nicht am WG-Tisch, sondern in der Regierungsfraktion sitzt.

Simmert hat, so sagt er, in der Kosovofrage seine Illusionen verloren. Aber selbst den scheinbar Abgeklärten hat der Krieg noch einmal eingeholt. Als die Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan anstand, war Simmert eigentlich frei. Er hatte bereits entschieden, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren. Er war nur noch seinem Gewissen verpflichtet – dachte er. Doch dann zwang der Bundeskanzler mit der Vertrauensfrage Simmert wieder in die politische Knochenmühle des „Ich oder der Staat“. Wären Simmert (und zu viele rot-grüne Abweichler) ihrem Gewissen gefolgt, wäre die Regierung am Ende gewesen.

Der ehrliche Junge aus Telgte hat, obwohl er letztlich mit Nein stimmte, diese dramatische Situation nicht verkraftet. Er erlitt einen Hörsturz, war drei Monate ganz aus dem Geschäft.

Mancher lästert heute noch über Simmert. Weil er in Sachen Afghanistan so skrupulös sein Gewissen vor sich her trug. An die Union aber, die voll hinter dem Einsatz stand und dennoch dagegen stimmte, stellt niemand Fragen. Denn die musste ja, so heißt es, gegen den Kanzler stimmen. CHRISTIAN FÜLLER