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Atmosphäre eingeschlossen

„Ohne Socken und Sonderposten, aber mit echtem Trödel“: Jeden Samstag lockt der „Quartier- und Anwohnerflohmarkt“ Flohschanze mit Schnäppchen, Style und Sammlerstücken

von ANNIKA SEPEUR

Dies ist jetzt schon der 108. Samstag für Jan. „Ich bin nicht wie die andern, und das wissen auch alle hier“, sagt der Mann mit den neongelben Hosenträgern. Es ist 10 Uhr und dafür schon ziemlich warm. Von Hektik und Gedrängel keine Spur: Es sind die Individualisten, Lebenskünstler und Sammler, die zur Flohschanze kommen, um den Style, das Schnäppchen oder einfach nur die Knoblauchpresse, die zuhause noch fehlt, zu finden.

Jans Stand ist heute ziemlich klein, da seine Kinder alle im Urlaub sind. Deshalb hilft die Oma. Bücher liegen auf seinem Tisch, ein paar Kerzenständer und Vasen – „alles geschenkt bekommen“, erzählt Jan, und darum komme jeder auch so gerne zu ihm. „Wer kein Geld hat, weiß, dass er auch mal was einfach so mitnehmen kann.“ Dafür komme man dann ins Gespräch, erfahre Interessantes aus Politik, Schanze und Mode. „Die Leute sind einfach auf dem neusten Stand, und das macht die gute Atmosphäre.“

Seit gut zwei Jahren werden auf dem Gelände zwischen Stern- und Marktstraße rund um die Alte Rinderschlachthalle die Stände aufgebaut – „ohne Socken und Sonderposten, aber mit echtem Trödel“, hat der Veranstalter Marktkultur Hamburg dem „Quartier- und Anwohnermarkt“ ins Konzept geschrieben. Tatsächlich hat besonders das Angebot an Schmuck und gut gepflegten 70er-Jahre-Klassikern einen Ruf als Sammlerflohmarkt befördert.

Nicht zu jedermanns Freude: „Der Flohmarkt hier ist durch die ganzen Antiktrödler ziemlich teuer“, sagt Lena aus der Schanze. Eigentlich geht die junge Frau viel lieber auf Trödelmärkte, aber „es ist halt die Faulheit, die mich immer wieder hierher treibt.“ So kommt Lena – „Ich wohne ja nur kurz um die Ecke“ – fast jeden Samstag vorbei und schaut, ob sie nicht ein paar billige Küchengeräte ergattern kann.

Joachim dagegen ist Sammler. So intensiv, dass er sich inzwischen wieder trennen muss von all den Lampen, Küchengeräten und Möbeln. Dass die 70er Jahre zur Zeit so angesagt sind, macht sich auch an seinem Stand bemerkbar. „Man könnte viel Geld mit den Sachen verdienen“, meint der Student, der das Ganze aber nur als Hobby betrachtet. So wie die Lehrerin aus Hamburg: Um „meinen Keller leer zu räumen“ hat sie ihren Schmuckstand im Hallendurchgang aufgebaut; zum Glück „muss ich nicht davon leben“.

Denn die neue Währung habe das Kaufverhalten beeinflusst. „Es gibt in letzter Zeit so viele Leute, die alles für einen Euro haben wollen“ – das ärgert sie. „Ich freue mich, wenn junge Männer und Frauen die Sachen aus meiner Jugend wiederentdecken und tragen“, sagt sie und ist froh, dass sie es nicht nötig hat, zu „respektlosen Preisen“ zu verkaufen. Gemeinsam mit einer Freundin teilt sie sich die Standmiete, denn „40 Euro sind schon ganz schön happig“, und kommt jetzt bereits seit drei Monaten immer wieder „wegen der guten Atmosphäre“.

Die hat auch noch einen anderen Grund: Zwischen all den Schallplatten, Möbeln, Eierkochern und bayrischen Handtuchhaltern kann man die „Schlumper“ antreffen. Diese Gruppe „so genannter geistig behinderter“ Künstler, wie sie sich selbst nennt, öffnet im Flohmarkttreiben ihr Atelier in der Schlachthalle, um Kaffee und Kuchen zu verkaufen. Und um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. „Auch wer gar nichts mit Kunst zu tun hat, kommt hier durch einen Kaffee damit in Berührung,“ sagt Andreas Heuer, künstlerischer Assistent der Schlumper. Viele Möglichkeiten also, auf der Flohschanze fündig zu werden.

Die Flohschanze ist ganzjährig jeden Samstag von 8 bis 16 Uhr geöffnet. Informationen: ☎ 040/270 27 66 oder www.marktkultur-hamburg.de

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