piwik no script img

„Von der Mauer geschossen“

Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten fordert Polizeibeauftragen für Hamburg. Eine Konsequenz aus dem tödlichen Schuss von Altona am vorigen Sonntag und dem fachlich unhaltbaren Verhalten von Polizeiführung und Staatsanwaltschaft

von KAI VON APPEN

Hamburg braucht einen Polizeibeauftragten. Diese Forderung hat der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen (BAG), Thomas Wüppesahl, erhoben. Als Konsequenz aus dem Todesschuss vom vorigen Wochenende und dem Ermittlungschaos gegen einen 37-jährigen beschuldigten Kommissar bestehe Handlungsbedarf. Gerade das Verhalten auf der politischen Ebene bestätige die Notwendigkeit einer unabhängigen Kontrollinstitution, sagte Wüppesahl zur taz hamburg: „Die Vorgänge nach dem Tod des flüchtigen Autofahrers machen deutlich, dass Staatsanwaltschaft und Polizei bei Ermittlungen in eigener Sache an erster Stelle den Korpsgeist im Blick haben.“

Das Vorgehen des Polizeikollegen sei nicht als harmloser Betriebsunfall abzutun, „schließlich ist ein Mensch zu Tode gekommen“. Wüppesahl spitzt zu: „Es ist ein Mann durch einen Polizisten von der Mauer geschossen worden.“ Einem Polizeibeauftragten sei es als unabhängige Dienststelle möglich, etwaige Vertuschungen der Ermittlungsbehörden aufzudecken: Wüppesahl verweist auf die erfolgreiche Arbeit der Datenschutzbeauftragten bei Verfehlungen von Polizei, Justiz und Behörden.

Im aktuellen Fall macht der Hamburger Kripomann den Beamten der Mordkommission keinen Vorwurf. „Die hat fachlich korrekt umgehend ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet“, sagt der Kritische Polizist. In der Tat hatte die Mordbereitschaft (MB) gleich nach Bekanntwerden des Vorfalls am Sonntag umfangreiche Maßnahmen veranlaßt. Da der „Beschuldigte“ ein Polizist ist, wollte die MB sogar den Fall an das für Beamtendelikte zuständige „Dezernat Interne Ermittlungen“ (DIE) abgeben. DIE, direkt SPD-Innenstaatsrat Walter Wellinghausen unterstellt, zeigte jedoch „kein Interesse“.

Im Laufe des Tattages wurde der Fall systematisch kleingekocht und die Öffentlichkeit vertröstet. Angeblich lägen die Ergebnisse einer Schnellobduktion noch nicht vor, doch diese waren bereits am Sonntag bekannt. Erst am Montagnachmittag gaben Polizeiführung und Staatsanwaltschaft nach internen Konsultationen erste Erkenntnisse preis. Verblüffende zugleich, denn plötzlich gab es drei mögliche Todesursachen (taz berichtete). Daher würde gegen den Beamten vorerst nicht ermittelt, sondern ein „Todesermittlungsverfahren“ eingeleitet, führte Staatsanwaltschaftsprecher Rüdiger Bagger aus. Ein solches Verfahren ist beispielsweise üblich, wenn eine Leiche in der Elbe gefunden wird und niemand weiß: Ist die Person ins Wasser gesprungen, gefallen, gestoßen oder ermordet reingeworfen worden?

Wüppesahl: „In dem aktuellen Fall gab es einen Vorgang, ein Opfer und einen Beschuldigten.“ Doch angeblich wollen Polizeipräsident Udo Nagel und Bagger nicht gewusst haben, dass zeitgleich zu ihrer Pressekonferenz der Beamte als Beschuldigter zum Tathergang vernommen wurde und daraufhin die MB nochmals „förmlich“ ein Verfahren wegen „fahrlässiger Tötung“ einleitete. Nagels und Baggers Vorgehen „war fachlich unhaltbar“, sagt Wüppesahl.

Die BAG greift mit ihrer Forderung eine alte grüne Forderung auf. Denn als Konsequenz aus dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Polizeiskandal kamen 1996 alle Fraktionen der Bürgerschaft zu dem Schluss, dass ein Polizeibeauftragter die adäquate Antwort auf das festgestellte Fehlverhalten bei Hamburgs Polizei sei. Doch wegen des Drucks von SPD und Polizeigewerkschaften ließ die GAL in den Koalitionsverhandlungen 1997 sich diese Forderung zugunsten einer ehrenamtlichen Polizeikommission (PK) abhandeln.

Aber selbst die war dem neuen Rechtssenat unliebsam: In einer seiner ersten Amtshandlungen wurde sie zum Beginn dieses Jahres wieder abgeschafft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen