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Achtkantiger Rausschnitt

Bei der „Musikantenscheune“ (ARD, 20.15 Uhr), dem „Musikantenstadl“ des Nordostens, gehen ja seltsame Dinge vor. Außerdem verschwinden manchmal ganze Moderatorinnen – die taz war vor Ort

aus Schloss DiedersdorfALEXANDER KÜHN

Diedersdorf ist gar nicht so schwer zu finden. Von Berlin: die B 101 bis Großbeeren, weiter Richtung Dahlewitz – oder die B 96 bis Dahlewitz, in Richtung Blankenfelde und dann den Schildern nach. Die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht zu empfehlen, denn vom S-Bahnhof Blankenfelde fährt kein Bus, und ein Taxi muss erst aus einem Nachbarort herbeitelefoniert werden.

„Es erfolgt keine Haftung für Personen- und Sachschäden“, warnt der ORB auf der Rückseite der 15 Euro teuren Eintrittskarte. Und im selben drohenden Ton: „Wir möchten darauf hinweisen, dass die ‚Musikantenscheune‘ rustikal möbliert ist.“ Ganz wie die Zuschauer.

Die sitzen auf Bierbänken an Biertischen, auf denen Tonkrüge mit Weißwein stehen. Nachgeschenkt wird nicht an diesem Abend, doch das sagt einem zunächst noch keiner. Im Gebälk stecken Plastikblumen, auf denen noch das Preisschild klebt: DM 4,95. Ein Kabelträger hat ein T-Shirt an mit der Aufschrift „Rolling Stones Tour 1994/95“, was in diesem Umfeld einer kulturellen Rebellion gleichkommt.

Die Redakteurin tritt durchs Scheunentor herein, wünscht über Mikro einen schönen guten Abend und sagt: „Wir haben heute viele Gäste, die zum ersten Mal da sind. Da freuen wir uns, weil wer hat das schon.“ Unerwähnt bleibt, dass viele der Zuschauer nicht zum ersten Mal da sind. Die Frau am rechten Nebentisch sagt, bei der Adventssendung sei es schöner gewesen. Einen viel besseren Platz habe sie gehabt. Jetzt hat man sie hinter einem dicken Balken platziert. Wenn sie den Kopf zur Seite neigt, um hinterm Balken hervorzulugen, hat sie einen Buchsbaum vor sich. Andere haben weder Baum noch Balken vor sich, sitzen dafür aber mit dem Rücken zum Geschehen.

Wenn da was passiert

Diese Sendung werde am 22. Juli zu sehen sein, erklärt die Redakteurin. „Schreib das auf“, sagt ein Mann, und seine Frau beginnt hektisch in ihrer Handtasche zu kruschteln. Rauchen sei verboten, sagt die Redakteurin und zeigt auf die Heuballen, die in der Scheune verteilt sind. „Wenn da etwas passiert, sind wir doch alle ein bisschen traurig.“

Wirklich traurig macht sie die Scheunenbesucher, als sie ihnen mitteilt, dass Petra Kusch-Lück erkrankt ist. Zum ersten Mal in der siebenjährigen Erfolgsgeschichte der „Musikantenscheune“. Doch das ist nicht so schlimm, denn der ORB hat eine würdige Vertretung gefunden: Ramona Leis, einst Moderatorin des „ZDF-Fernsehgartens“ und in der „Knoff-Hoff-Show“ für jene physikalischen oder chemischen Gags zuständig, die Dr. Joachim Bublath zu banal erschienen.

Aaaber, sagt die Redakteurin, und jetzt kommt’s: „Wenn die Sendung am 22. Juli ausgestrahlt wird, dann ist nicht Ramona Leis zu sehen, sondern Petra Kusch-Lück.“ Rausschneiden täten sie die Frau Leis, und die Frau Kusch-Lück rein. „Aber das müssen Sie nicht verstehen.“

Ramona Leis, die später rausgeschnitten wird, kommt also zur Scheunentür herein und macht zwei Witze. Die Pointe des ersten ist der ähnliche Klang von „Obsession“ und „Hoabt’s wos z’ essen?“, der zweite geht ungefähr so: „Mutter Beimer ist die Ikone der Lindenstraße, Verona Feldbusch die Silikone der Bild-Zeitung.“

Und schon ertönt die Melodie, die jeder in der Scheune mitsingen kann. Ein lang gezogenes „Muuu-siii“ und ein stakkatoartiges „-kan-ten-scheu-ne“. Brandenburger Land, Wiesen und Sand. „Fühlt euch wie zu Hause hier in unsrer Klause“, befiehlt die nächste Strophe, und das braucht man keinem zweimal zu sagen. Lied aus – und nichts passiert. Stimme des Regisseurs aus dem Ü-Wagen: „Wir müssen das noch mal machen. Die Kapelle ist zur falschen Scheunentür reingelaufen.“

In einer Ecke ist die Scheunenküche eingerichtet. Ramona Leis steht neben Scheunenkoch Ronny Pietzner und unterhält sich mit Astrid Harzbecker, einer sehr blonden, sicherlich sehr bekannten Künstlerin. Die sieht aus wie 19 und ist laut Ramona Leis seit 13 Jahren glücklich verheiratet. Ihren schweren Unfall habe sie gut verkraftet, und man wisse das Leben hinterher viel mehr zu schätzen. Auch das gute Essen. „Du wohnst in Bayern“, sagt Ramona Leis. „Da gibt es ja auch musikalische Menschen, nicht wahr? Und so einen haben wir jetzt hier: Begrüßen Sie …“ Stimme des Regisseurs aus dem Ü-Wagen: „Ramona, jetzt hast du gar nicht mit dem Koch gesprochen!“ Aber wird sie nicht eh rausgeschnitten?

Hier am Dekolleté

Kaum ist die Aufzeichnung im Kasten, stürmen die Zuschauer zur Scheunenküche, wo Ramona Leis weich gezeichnete Autogrammfotos verteilt. „Sagen Sie, Frau Leis“, meint eine rotbäckige Mittfünfzigerin verschämt, „wie schaffen Sie das denn, dass Sie so schlank Sind?“ Och, sagt die Frau Leis, so schwer sei das gar nicht. Sie trinke täglich zwei bis drei Liter abgekochtes Leitungswasser. „Warum abgekocht?“ – „Wegen dem Entschlacken.“

Ein haarloser Mann im Trachtenanzug fragt: „Sagen Sie, Frau Leis, Sie haben doch heute Abend live gesprochen, oder?“ – „Ja, freilich.“ – „Ja, aber Sie haben doch gar kein Mikrofon gehabt!“ – „Ja schaun S’, des hab ich hier, am Dekolleté.“ Eine Frau kostet von den Oliven, die der Scheunenkoch für sein Menü nicht verwertet hat. Ein älterer Herr füllt sich etwas Wein in eine mitgebrachte Evian-Flasche. Dann gehen alle nach Hause.

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