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„Schützen wir uns vor Realisten“

betr.: „Natürlich gab es viele Illusionen“ (Interview D. Cohn-Bendit), taz vom 20. 7. 02

Lieber Danny, natürlich hast du, sprechend aus großer politischer Erfahrung, in den Detailfragen „Recht“, wie alle „erfahrenen“ und „realistischen“ Politiker. Damit wird aber auch alles, was du sagst, verwechselbar.

[…] Der letzte Bundeskanzler, der es wagte, eine Vision (Versöhnung mit Osteuropa), die damals nur von einer Minderheit geteilt wurde, zur Richtschnur seiner Politik zu machen, und damit immerhin Erfolg hatte (Ostverträge), war Willy Brandt. Danach kam der Macher, dessen Gefährlichkeit in unseren Kreisen vor allem in der Nachrüstung gesehen wurde, der „unrealistische“ Kampf dagegen eine der Wurzeln deiner/unserer Partei.

Heute müssen wir sehen, dass dieser Macher etwas noch Gefährlicheres in Gang setzte (zumindest förderte), nämlich mit dem informellen Gespräch der sieben großen Wirtschaftsmächte (G 7) den neuen Imperialismus, genannt „Globalisierung“. Wenn attac die Bewegungen dagegen (die zum Teil ja auch lange Erfahrung haben) zusammenführt, ist das bitter nötig, sie übernehmen damit eine Rolle, die früher die Grünen hatten. Das sahst du als Repräsentant der Grünen vor einem Jahr anscheinend auch so, heute bist du mit deiner beckmesserischen Kritik in der so genannten Realität angekommen. Schützen wir uns vor den Realisten! WOLFGANG WIEMERS, Mitglied der GAL Münster

betr.: „Ende eines Höhenflugs“ u. a. (Globalisierungskritik ein Jahr nach Genua), taz vom 20. 7. 02

Große Lücken bei der Darstellung der Aktivseite und eine Reihe von Fehlern und Fehleinschätzungen beim Kommentar machen v. a. den Text „Ende eines Höhenflugs“ von Koufen und Winkelmann zu einem Ärgernis.

[…] Heute gibt es 140 aktive Attac-Gruppen vor Ort, vor Genua waren es 5. Bemerkenswert ist auch, dass der Zustrom an Mitgliedern ungebrochen ist. Jede Woche werden es zwischen 100 und 150 mehr. Vor Genua gab es bei Attac ein paar altgediente ProfessorInnen, heute einen 40-köpfigen wissenschaftlichen Beirat. Überhaupt drehte sich das wissenschaftliche Klima. Spätestens seit dem Buch von Joseph Stiglitz „Der Schatten der Globalisierung“ ist die neoliberale Zunft von WirtschaftswissenschaftlerInnen in Erklärungsnotstand geraten. Bis Genua gab es bei den Aktionen der Bewegung v. a. Gipfel-Hopping, heute haben wir den hoch spannenden Prozess der Weltsozialforen. […]

Auch beim Kommentar der Bilanzfakten wurde fleißig „gedreht“. Attac hat seinen Schwerpunkt auf Globalisierungskritik keinesfalls aufgegeben. Im Bereich Frieden arbeiten wir grundsätzlich nur im Konzert mit den Netzwerken der Friedensbewegung. Der politisch falschen und vermessenen Versuchung, sich an die Spitze der Friedensbewegung zu stellen, hat Attac wohlweislich widerstanden.

Im Gesundheitsbereich empfehlen Koufen, Winkelmann und Cohn-Bendit sich herauszuhalten. Sie haben nicht verstanden, dass man Globalisierungskritik nicht erfolgreich als eine Neuauflage von Entwicklungspolitik betreiben kann. Der Abbau der Sozialsysteme hier ist Teil des weltweiten neoliberalen Umbauprozesses im Zuge der Globalisierung. Attac kann nur Erfolg haben, wenn wir zunehmende soziale Ungerechtigkeiten international mit dem Sozialabbau hier zusammen thematisieren. Das wird übrigens weltweit in der Attac-Bewegung so gesehen. Genauso falsch ist, dass es beim Thema Gesundpolitik keine Abgrenzungsmöglichkeiten zu den etablierten SozialpoltikerInnen gäbe. Attac fordert u. a. die Abschaffung der Privatkrankenkassen. Es soll nicht mehr möglich sein, sich bei hohem Einkommen aus der solidarischen Finanzierung zu stehlen. Eine logische Begründung für die einseitige Belastung der Arbeitnehmereinkommen bei der Finanzierung unseres Gesundheitssystems gibt es ohnehin nicht. An diese Fragen traut sich keine Partei heran.

Richtig ist, dass die vielen Aktionen der Attac-Gruppen vor Ort von den überregionalen Medien wenig wahrgenommen werden. Das Gleiche gilt auch für die weiterhin starken Proteste bei den letzten großen Gipfeln.

Da hilft es auch nicht, wenn beim WTO-Aktionstag in 30 Städten und beim Gesundheitsaktionstag in über 50 Städten etwas los ist. Wir mussten lernen: Die Medien wollen nicht viele aktive BürgerInnen, sie wollen Spektakel und zwar in immer neuer Form. Für Attac als „Bildungsbewegung mit Aktionscharakter“ bedeutet das, mehr auf friedliche, aber konfrontative Aktionsformen in der Tradition zivilen Ungehorsams zu setzen.

Was Attac bisher nicht erreicht hat, ist die Durchsetzung konkreter politischer Forderungen. Hier müssen wir nach der Phase des ersten Wachstums lernen, kampagnenorientierter zu arbeiten. In diesem Punkt kann Attac von Greenpeace eine Menge abgucken. […] SVEN GIEGOLD, Mitglied des

Koordinierungskreises von Attac Deutschland, Verden/Aller

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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