: Blicke auf die gelähmte Stadt
Die Straßen leer, alle Versprechungen der Metropole vergessen: In Gabriela Davids Regiedebut „Taxi, un encuentro“ gleiten Antihelden durch ein krisengeschütteltes Buenos Aires unter dem Eindruck der Depression
von JULIAN WEBER
„Man muss lernen, zu überleben.“ Ein Satz, der Esteban, dem Protagonisten in Taxi – Eine Nacht in Buenos Aires (Taxi, un encuentro) leicht über die Lippen geht. Esteban wird diesen Satz noch öfter sagen, ganz beiläufig zwischen zwei Zügen einer Zigarette nimmt er ihm seine pathetische Wucht. Man kann sich trotzdem ausrechnen, was passieren könnte, sollte er es nicht lernen.
Er schlägt sich durchs Leben: als Taxidieb in Buenos Aires. Esteban, dessen zerknittertes Gesicht an einen dieser argentinischen Bösewicht-Fußballer erinnert, die uns bei der WM so schmerzlich früh im Stich gelassen haben. Er klaut Autos und überführt sie für eine lausige Summe an seine Auftraggeber, die schmierigen „Tres Hermanos“. Zuvor aber fährt er mit den gestohlenen Taxis noch Kunden zu ihren Bestimmungsorten – weil er nicht nur pleite, sondern auch einsam ist. Also improvisiert er den Taxi Driver in einem Schattenkabinett aus Selbstgesprächen und peinlichen Unterhaltungen mit seinen apathisch im Fond sitzenden Kunden. Ein Antiheld in einer krisengeschüttelten Welt, exzentrisch und poetisch zugleich. Bis er eines Nachts bei einer seiner Kaperfahrten Laura aufgabelt. Sie wird im Taxi ohnmächtig, weil sie eine Schusswunde hat.
Nach Mundo Grúa von Pablo Trapero, ist Taxi, un encuentro ein weiterer bemerkenswerter Film aus Argentinien, der sich mit der Wirtschaftskrise in dem einstmals blühenden südamerikanischen Land auseinandersetzt. Es ist das Regiedebut der Filmemacherin und Professorin Gabriela David. In feinfühlig beobachteten Bildern und Dialogen beschreibt sie das Elend von Menschen, welche die wirtschaftliche Lage an den Abgrund der Gesellschaft gespült hat. Vielleicht könnte man Gabriela Davids Stil deshalb als magischen Neorealismus bezeichnen: Sie hält den sozialen Umständen den Spiegel vor und wirft dabei einen sehr persönlichen Blick auf ihre Stadt.
Der Film zeigt Buenos Aires als Metropole, über der sich die kranke Ökonomie wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet hat: Die Zeit scheint stehen geblieben, Straßen und öffentliche Orte wirken wie evakuiert. All die glitzernden Versprechungen der Großstadt sind vergessen, selbst die Leuchtreklamen blinken nur noch bleiern. Scheinbar unwichtige Details wie das Autofahren inszeniert David mit großer Sorgfalt. Sie hat ein Gespür für die gleitende Bewegung des Fahrens. Sei die Welt auch noch so heruntergekommen – noch können sich die Menschen in ihr bewegen, nehmen sich dieses Recht auch unter Einsatz von Gewalt.
Die Sprache der Protagonisten zeugt von großem Wissen um den Dialog. Die Gespräche hören sich vielleicht nichtssagend an, aber sie sind mit Hingabe auf den Moment hin zugespitzt, wo wenige Worte und Blicke mehr sagen als noch die lakonischsten Bemerkungen. All das in einer nach Film Noir anmutenden, beklemmenden Stadt-Atmosphäre. Die Bewohner von Buenos Aires wirken gefangen, fahrig und unentschlossen in den Bewegungen, misstrauisch in der Körpersprache, selbst wenn sie nur kurz in den Rückspiegel schauen, sich durch die Haare streichen. Soziale Beziehungen sind in diesem Klima fast unmöglich. Wenn Esteban von einem anderen Taxifahrer bedroht wird, weil er in der „falschen“ Straße angehalten hat, so verbreitet sich ganz plötzlich stiller Schrecken. Menschen agieren als Gespenster ihrer selbst. Aber sie strahlen dabei eine fast chaplineske Würde aus. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt – und wenn das, was die Charaktere konkret gegen ihre aussichtslose Lage unternehmen können, sie immer wieder in die uncoolsten Situationen bringt, dann lässt der Film sie retrospektiv darüber reden und auf diese Weise die absurdesten Gedanken dazu entwickeln. Gabriela David wechselt die Erzählperspektive, schneidet quer, spult vor, kurbelt zurück. So werden die gleichen Geschehnisse nach und nach mit neuen Bildern und anderen Blickwinkeln angereichert.
Esteban bringt Laura schließlich zu sich nach Hause, wo er mit seinem alkoholabhängigen Vater in einer Vorstadt lebt, mit Blick auf den Panamerican Highway. Dort wird er ihr die Kugel herausoperieren. Später wird sich Laura nur noch an den Blick aus dem Fenster erinnern. Ein Blick, der ihr Leben verändert.
tägl., 20.30 Uhr, 3001
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen