: Kopf, Herz, Magen: Alles voller Wolle
Stricklieseln in Mammut-Format, Fotos und jede Menge handgefertigte Leitern in allen Farben: Multimediale Puppenausstellung zur Frauen-„Beschäftigung“ von Annette Greiner im Museum der Arbeit
Die Konzeption ist und war von vorenherein perfide: Ein herziges Spiel mit Puppen sollten sie wohl suggerieren, die Stricklieseln, die auch in den 70er Jahren Mädchen noch vereinzelt als Freizeitbeschäftigung angeboten wurden; und wehe derjenigen, die nicht direkt dankend ablehnte! „Da kann man doch so nett mit stricken!“ musste sie dann womöglich noch wochenlang aus Omas Munde vernehmen. „Und dann bist du doch so nett beschäftigt.“ Allein – schon der Fünfjährigen erschloss sich der Sinn der Strickliesel-Betätigung nicht. Erschwerend kam hinzu, dass Resultate erst nach längerer Durststrecke zu sehen waren: Zwischen Beginn und erstem Wollzipfel am Fuß der Figur lagen etliche Stunden.
Und dann – was sollte man schließlich anfangen mit den Wollwürsten, die mageres Resultat solchen Bemühens waren? Untersetzer daraus kleben, vieleicht auf sorgsam ausgeschnittene Pappscheiben? Klorollenschützer oder Eierwärmer gar?
Verstrickungen hat Annette Greiner die lebensgroßen Stricklieseln genannt, die derzeit heeresgleich in der Abteilung „Frauen und Männer. Arbeits- und Bilderwelten“ des Museums der Arbeit stehen. Ausdrucklos stieren einem leicht stupide Köpfe entgegen – ganz wie echte Stricklieseln, deren „Beherrschung“ etwa im frühen 19. Jahrhundert für Mädchen Voraussetzung fürs Lesenlernen war.
Von „niedrigen Trieben“ sollte solch rastlose Nadelarbeit auch erwachsene Frauen des Bürgertums schützen und – aber das wurde nicht ausgesprochen – die Gedanken vermutlich genauso fruchtlos kreiseln lassen wie die Finger der Mädchen, die den Faden mühsam um die gebogenen Häkchen auf dem Puppenkopf wanden.
Frisörin und Sozialpädagogin war Annette Greiner, bevor sich sich der Kunst zuwandte – plausible Gründe, sich für das Geschehen auf den Köpfen der Puppen zu interessieren. Süffisant transportiert die aktuelle Ausstellung auch die Frage, inwieweit die Puppen Analoga zur erwünschten weiblichen Genese waren: Was soll schon herauskommen, wenn man ständig Wolle in den Kopf hineinwindet?
Gar viel lässt sich fabulieren über die Symbolik der Figuren, die im Museum der Arbeit zusätzlich in Büstenform vorkommen. Hochtoupierte Blondies stehen da auf Wandbrettern neben Ägypterinnen, doch der dumpfe Ausdruck eint sie alle. „Nur für Andere machte uns eine mühevolle Arbeit Freude“, schrieb die Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters 1866. „Man hoffte, durch ein solches Opfer, durch eine solche Anstrengung seine Liebe zu beweisen.“ Ob dies wirklich eintrat, ist allerdings nicht überliefert. Sehr deutlich ließ sich allerdings an den Wollwürsten die mühsamst verstrickte Zeit ablesen, und Annette Greiner zeigt‘s auf ihre Art: Wollene Leitern hat sie dazugehängt, deren Sprossen je eine Stunde verstrickter Zeit anzeigen.
Und ganz und gar lethargisch wirken die in Großformat abgelichteten Liesel-Köpfe, auf deren Wangen Fliegen krabbeln: traditionelles Symbol der Vergänglichkeit.
PETRA SCHELLEN
„Verstickungen – Arbeiten von Annette Greiner. Museum der Arbeit, Wiesendamm 3; bis 6. Oktober 2002. Geöffnet Mo 13–21, Di–Sa 10–17, So 10–18 Uhr. Begleitprogramm unter www.museum-der-arbeit.de Tel.: 040 / 428 32 - 23 64
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