Wer kennt William Faulkner?

Die High School wird zur Shopping-Mall: Gegen Bildung und Intellekt spielt „Nix wie raus aus Orange County“ die Unbefangenheit des jugendlichen Körpers aus. Am Ende siegt wie immer die Familie

von ANDREAS BUSCHE

Verdammt sexy kann sie sein, so eine gewisse intellektuelle Unbefangenheit. Wo kulturelle Kodierungen versagen, kann man sich ganz zügellos dem Spiel der Körper hingeben: eine universale Sprache. Keine Vorkenntnisse, keine Grammatik. Wie Jean-Paul Belmondos und Jean Sebergs Bettgeflüster in „Außer Atem“. Sie: „Kennst du William Faulkner“ – Er: „Hast du mit ihm geschlafen?“ – „Natürlich nicht, Dummkopf“ – „Dann ist es mir egal. Zieh dich aus!“

Auch in Jake Kasdans „Nix wie raus aus Orange County“ bekommt Faulkner seine kleine Nebenrolle zugeschrieben: Zunächst als Mittel der Distinktion zwischen zwei unter der Sonne Kaliforniens unvereinbaren Seinszuständen (dieses Orange County, sagt die Werbung, ist gleichzeitig Ort und state of mind): In „Nix wie raus aus Orange County“ steht die Verheißung kalifornischer Eliteerziehung einer kulturlosen Vorstadtlandschaft machtlos gegenüber. Für Shaun Brumder (Colin Hanks, den Sohn von Tom Hanks) steht darum fest, dass er nach der High School aus Orange County weg muss, nach Stanford, in die Literaturklasse seines Vorbilds Marcus Skinner. Er will Schriftsteller werden, und in Stanford ist Faulkner noch Gesprächsthema auf Partys.

Durch Shauns Orange County zieht der Geist des alten William Faulkner – vielmehr seine Abwesenheit – eine scharfe Linie der kulturellen Kodierung. Wie bei Belmondo und Seberg ist die intellektuelle Unbefangenheit der Teenager hier unweigerlich sexuell konnotiert – allein durch die Sprache der Körper, praktiziert im Cheerleader-Verein oder am Strand, mit dem Surfbrett unterm Arm. An diesem Strand fand einst auch Shauns Initiation vom Surfer zum Schriftsteller statt; im Sand hat er zufällig den Roman von Marcus Skinner gefunden und sein eigenes Leben gelesen.

Orange County heißt die Gegend an der amerikanischen Pazifikküste, die man gemeinhin meint, wenn man Kalifornien sagt. Kein Klischee könnte hier plakativ genug sein, die Realität ist ungleich härter. Kasdan hat sogar einen für eine Teenager-Komödie ungewöhnlich genauen Blick für die Details in diesem saturierten Mittelstandssoziotop entwickelt: die lieferwagengroßen Kühlschränke in der Küche, die nicht minder überdimensionierten Fernsehapparate im Wohnzimmer, der beheizte Pool im Garten. Alles ist auf Inklusion, auf Wahrung von Vermögen und Werten ausgerichtet – was die Ausgrenzung gleich impliziert. Orange County, eine Ansammlung von Vorstädten im Speckgürtel von Los Angeles, wirkt wie eine einzige gated community; kein Wunder, dass auch die High School wie eine Shopping-Mall aussieht.

Shaun Brumder kann hier nur wie ein Eindringling wahrgenommen werden. Und weil die Brumders so etwas wie das degenerierte Mittelklasse-Suburbia- Pendant zum Al-Bundy-Proletariertum sind, darf der große Familiensoziopath John Lithgow auch mal kurz entgeistert zwischenfragen, warum Sohnemann denn gottverdammt noch mal Schriftsteller werden will. „Worüber willst du schreiben? Du wirst nicht unterdrückt. Du bist nicht schwul.“ Noch besser allerdings ist Chevy Chase als Schuldirektor. Shauns Vorschlag, Toni Morrison als Rednerin für die Jahrgangsabschlussfeier zu gewinnen, kann ihm nur ein müdes Lächeln entlocken – aber hat nicht jemand aus der Klasse behauptet, die Freundin eines Cousins wäre mit Britney Spears befreundet?

Später spukt dann noch einmal Faulkner durch den Film, diesmal aber zurechtgestutzt zum fragwürdigen Rollenmodell eines höchst konservativen Backlashs, der sich direkt in die kümmerliche Daseinsform des All-Americanism zurückwindet. Was wäre, fragt Shauns Freundin Ashley, an ihrer jugendlichen Liebe zweifelnd, wohl aus Faulkner geworden, wenn er seine Heimat, die Südstaaten – den Ort seiner Inspiration – ebenfalls verlassen hätte? Trotzdem ein Nobelpreisträger? Oder nur ein schreibender Buchhändler? Also doch nicht raus aus Orange County! Am Ende des Films hat sich auch das Projekt Mittelstandsfamilie schließlich wieder bewährt. Die Genese der amerikanischen Familie mag grausam sein, so richtig zum Albtraum wird sie erst in Orange County.

„Nix wie raus aus Orange County“. Regie: Jake Kasdan, USA 2002, 87 Minuten. Mit Colin Hanks, Jack Black, Catherine O’Hara u. a.