Tüfteln am Tabu

Abstriche beim Stempelgeld sollen die Arbeitslosen beweglicher machen. Aber die Mehrheit würde einfach nur ärmer

von BARBARA DRIBBUSCH

Die Arbeitsmarktpolitik ist eine Tragikomödie. Das Tragische liegt darin, dass ausgerechnet jetzt, wo die Wirtschaft allerorten Stellen abbaut und tatsächlich immer weniger Jobs zu haben sind, der Streit über die „richtige“ Arbeitsmarktpolitik und „mehr Beweglichkeit“ der Joblosen wieder voll entbrennt.

Die vom Kanzler eingesetzte Hartz-Kommission will am 16. August ihre Vorschläge präsentieren. Die CDU/CSU hat bereits in einer „Offensive 2002“ hohe Wirtschaftssubventionen versprochen. Das Taktieren um Versprechen und Vorschläge im Wahlkampf hat dabei auch etwas Komisches.

Grob gesagt, kann Sozialpolitik die Arbeitslosigkeit immer nur auf zweierlei Weise beeinflussen: Entweder sie hilft mit öffentlichen Zuschüssen für Löhne, Wirtschaft oder einen zweiten Arbeitsmarkt, also mit „positiven Anreizen“. Die zweite Möglichkeit sind Kürzung und Umschichtung von Sozialleistungen. Solche „negativen Anreize“ sollen Joblose zwingen, eine Arbeit anzunehmen – auch wenn sie schlecht bezahlt ist und nicht ihrer Qualifikation entspricht. Aber diese „negativen Anreize“ funktionieren nur, wenn ein gewisses Maß an Jobs angeboten wird und die Arbeitslosen überhaupt in der Lage sind, sie auszufüllen.

Den ersten Weg, den der öffentlichen Hilfen, gehen die Parteien, indem sie Wirtschaftssubventionen versprechen und schlechter bezahlte Jobs von Sozialabgaben entlasten wollen (siehe Kästen). Da die öffentlichen Kassen jedoch sparen müssen und die Politik – genauso wie große Teile der Wählerschaft – neue Steuern und Sozialabgaben ablehnt, wird eine künftige Sozialpolitik auch umschichten und kürzen. Die Vertreter der Hartz-Kommission haben schon angekündigt, dass es ohne Leistungseinschränkungen nicht gehen wird. Alle Parteien bis auf die PDS haben bereits erklärt, die Arbeitslosenhilfe zu verändern – also wahrscheinlich zu befristen oder zu kürzen.

In wirtschaftlich schlechten Zeiten wie diesen lässt sich nun mit einiger Sicherheit annehmen, dass bei einer Befristung der Arbeitslosenhilfe Folgendes passiert: Ein Teil der Joblosen, etwa die jüngeren, leistungsfähigeren, wird tatsächlich eher eine Arbeit annehmen, die sonst nicht attraktiv für sie gewesen wäre. Möglicherweise wird damit in der Tat die eine oder andere „Arbeitslosigkeitskarriere“ verhindert. Viele andere jedoch, und dazu gehören schlecht Qualifizierte, gesundheitlich Angeschlagene, Ältere und Arbeitslose, die regional gebunden sind, können nicht in den ersten Arbeitsmarkt wechseln, weil es schlichtweg keine Jobs für sie gibt. Auch wenn sie als Leiharbeiter über die Arbeitsämter vermittelt würden, hätten wahrscheinlich nur wenige Unternehmen Bedarf.

Diese chancenlosen Joblosen würden bei einer Befristung der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe fallen und an Einkommen einbüßen. Sie würden geopfert, nur damit eine Minderheit „beweglicher“ wird. Das Problem dieser Opferung ist politisch tabuisiert. Die Hartz-Kommission tüftelt deswegen daran, wie man bei Leistungseinschränkungen „Übergangslösungen“ finden oder benachteiligte Regionen gesondert behandeln könnte.

Der Einfluss der Sozialpolitik auf Wachstum und Beschäftigung wird überschätzt, so räumen inzwischen Ökonomen ein. Eins aber kann die Sozialpolitik immer: größere soziale Instabilitäten vermeiden. Das könnte auch einen Maßstab liefern, nach dem man die Vorschläge der Parteien beurteilen kann.