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Epidemie unter Robben?

Seit Mai dieses Jahres droht die Gefahr eines neuen Seehundsterbens. In der nördlichen Nordsee fand man seither 1.600 tote Exemplare dieser Tierart (lat.: Phoca vitulina). Wieder hat das Staupevirus die Erkrankungen ausgelöst – wie 1988, als wegen dieses Virus tausende von Seehunden starben.

Wie das Virus in die Seehundpopulation eingeschleppt wurde, konnte nicht präzise geklärt werden. Angefangen hatte das unnatürliche Sterben mit Fehlgeburten, später kamen auch Alttiere infolge einer Art von Lungenentzündung zu Tode. Die meisten Wissenschaftler nehmen an, dass das Immunsystem der Tiere durch Umweltgifte (Schwermetalle, chlorierte Kohlenwasserstoffe) belastet war.

Kraft gewann diese These durch die Beobachtung, dass in den gering verschmutzten Gebieten am Rande der Nordsee (Irland, Schottland und Norwegen) keine Tiere erkrankten. Ungefähr siebzehntausend Seehunde, die Hälfte des gesamten Bestandes in der Nordsee, fiel damals der Seuche zum Opfer.

Ein Seehund – der in ökologisch intakter Umwelt bis zu dreißig Jahre alt werden kann – erreicht eine Größe von bis zu zwei Metern und ein Gewicht von bis zu hundert Kilogramm. Seine Hauptnahrung sind Fische. Nicht nur sehr gut schwimmen können Seehunde, bis zu 45 Minuten vermögen sie sogar zu tauchen. An Land aber müssen sie „robben“.

In der Paarungszeit findet man sie in der Nordsee, selten in der Ostsee. Außerhalb der Paarungszeit jedoch schwimmen sie bis nach Portugal und in die östliche Ostsee. Manchmal kann man sie sogar in Flüssen finden. Die Mütter verlassen die Jungtiere, wenn sie bei der Aufzucht gestört werden. Die Heuler bleiben dann am Strand zurück.

Momentan soll es im Wattenmeer wieder etwa zwanzigtausend wild lebende Seehunde geben. Auch die übrigen Bestände in den nordwesteuropäischen Gewässern haben sich seit 1988 erholt. Im Wattenmeer war die Zahl der Seehunde schon einmal 1974 auf einige tausend Tiere geschrumpft. Ursache war die Jagd auf Seehunde, die jetzt im Wattenmeer verboten ist. Trotzdem gibt es aber an der Westküste Schleswig-Holsteins noch vierundzwanzig deutsche Seehundjäger.

Seehunde gelten heute – selbst unter Berücksichtigung strengster ökologischer Standards (Prüfung der Wasserqualität, des Nahrungsmittelangebots) – als relativ gesund. Krankheiten sind aber bei den in Rudeln lebenden Tieren nicht ungewöhnlich, da sie sich, eng auf Sandbänken zusammenliegend, durch Tröpfcheninfektion anstecken können. Bei der aktuellen Epidemie wurde bei nur fünf Tieren, die im Wattenmeer leben, das Virus nachgewiesen.

Keinesfalls war eine zu große Population die Ursache der Epidemie von 1988. Weder damals noch heute konnten Forscher die typischen Anzeichen einer zu großen Dichte von Seehunden (aggressives Verhalten, schlechter Ernährungszustand, Teilung der Rudel, starker Parasitenbefall) feststellen.

Seehunde sind die Bambis unter den im Wasser lebenden Tieren: Ihre Kulleraugen wecken beim Menschen Beschützerinstinkte (Kindchenschema). In der Öffentlichkeit finden deshalb Heulerstationen, in denen verwaiste und schwache Robben großgezogen werden, stets starkes Interesse. Die weltweit größte Station heißt Zeehondencrèche, was so viel wie „Robbenwaisenhaus“ heißt; sie liegt nahe Groningen im niederländischen Wattenmeer.

Die MitarbeiterInnen des Instituts pflegen und füttern elternlose Tiere, die meist in einem abgemagerten und ausgetrockneten Zustand gefunden wurden. Nach einigen Monaten werden die Tiere dann, mit durchschnittlich 25 Kilo zusätzlichem Gewicht, wieder in ihre natürliche Umwelt entlassen.

ANGELIKA FRIEDL

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