: sommerkrimi
Folge 7
Seine rechte Hand glitt routinemäßig über den leichten Bauchansatz, kniff hier und da in seinem Schwimmring herum. Letzten Sommer waren es noch drei kleine Falten. Er stellte sich seitwärts vor den Spiegel. Jetzt war es eine Furche direkt unter dem Brustansatz und dann eine einzige leichte, durchgehende Wölbung. Immerhin, er zog prüfend seinen Bauchspeck ein, drückte ihn in verschiedenen Varianten wieder nach vorne. Immerhin, unter dem Polohemd und bei aufrechter Haltung war es noch nicht auszumachen.
Als Pieter Lund beim Frühstück saß, quetschte die Sonne die ersten zaghaften Lichtstrahlen durch den Dunst, der in den frühen Morgenstunden über die Stadt gekommen war und die Sterne ausgeschaltet hatte. Der Nachteinsatz war problemlos verlaufen. Ohne Umwege war der grüne Audi nach Eimsbüttel gefahren. In der Eichenstraße war ein dunkelhäutiger Mann ausgestiegen, keine dreißig Jahre alt, hatte sein Päckchen unter den Arm genommen und sich vermutlich einfach ins Bett gelegt. Lund hatte sich den Namen vom Türschild abgeschrieben. Ghassan Mroueh. Jedes Kind könnte diesen Job erledigen.
Sein Blick fiel auf die Küchenuhr. 7.55 Uhr. Er stürzte abrupt aus seinen Gedanken. Jetzt aber Abflug. Der Chef sollte nicht zu spät kommen. Der Chef! Lund stieß ein verächtliches Zischen durch die Zähne, es war lange her, dass ihm das etwas bedeutet hatte. Als er die Wohnung verließ, um die Haustreppe hinunter zu laufen, trübte nichts das Bild eines gut gebauten Thirtysomethings. Die Achillessehnen machten ihren Job inzwischen mühelos, der Schwimmring war gut versteckt, die Haare hatten etwas Gel, die Wülste unter den Augen hatten sich zurechtgezogen und die Lederjacke war nicht von der unscheinbaren Sorte ,Bullenglück‘. Der Tag konnte kommen. Pieter Lund setzte sich in seinen Chrysler, drehte den Zündschlüssel um und sein exquisites Soundsystem laut auf. Nquyen Le Trio, Blue Monkey. Marvellous 6.09 minutes long.
Um 8.45 Uhr waren sie endlich alle anwesend. Obwohl er Unpünktlichkeit hasste, sagte Pieter Lund nichts. Die Jungs kannten in den letzten Monaten nur noch vermurkste Wochenenden, allenfalls mal einen Tag ohne Einsatz. Hamburg war das deutsche Mekka der Kriminellen. Mehr als vierzig Fälle im Jahr für jeden von ihnen. Die jüngste Statistik versprach alle 1,8 Minuten ein Delikt und die meisten unaufgeklärten Fälle bundesweit.
„Mal Ruhe bitte. Lasst uns anfangen. Mein Part ist schnell erzählt. Der Mann ist in einer Wohnung in der Eichenstraße verschwunden. Scheint ein Araber zu sein. Jedenfalls steht Ghassan Mroueh an der Wohnungstür. Der Computer kennt ihn nicht. Wie war‘s bei dir, Atze?“
Es war fast immer gleich: arabische Namen an den Wohnungstüren in Eimsbüttel, St. Georg, Harburg, Bergedorf, St. Pauli und Wandsbek. Nur in einem Falle nicht. Die Wohnung in St. Pauli gehörte einem gewissen Novitzki. Gerd Novitzki.
Vorabdruck aus Holger Biedermann, Von Ratten und Menschen, Kriminalroman, erscheint am 28.8. bei Edition Nautilus Hamburg, 192 S., 12,90 Euro, © Edition Nautilus
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