: Jugendsünden auf hanseatisch
Da ist sie: Die eigene Handschrift. Der 8. Radio-Bremen-Tatort „Schatten“ glänzt durch eine subtile Geschichte, gute Schauspieler und schöne Pointen: Roger Moore hat einen Gastauftritt, Bremens Polizeisprecher Frank Kunze spielt die Leiche. Am Sonntag um 20.15 Uhr in der ARD
Nun haben sie endlich den Bogen raus! Bisher sah man die Tatort-Produktionen von Radio Bremen mit Sabine Postel als Hauptkommissarin Inga Lürsen eher als Fernsehkuriositäten aus der Heimatstadt an. Oft war man peinlich berührt von den offensichtlichen Mängeln, und außerdem menschelten und bremelten die Regisseure meist allzu dicke. Immer wieder gab es langatmige Szenen, die zeigen sollten, wie schwer Sabine Postel es als Karrierefrau und alleinerziehende Mutter mit einer fast erwachsenen Tochter hatte. Und die Stadt wurde allzu deutlich ausgestellt. Die Außenaufnahmen schrien den Zuschauern zu: Sieh her, jetzt sind wir in Bremen.
Der erst kürzlich gesendete Bremer Tatort „Endspiel“ war im Vergleich zu seinen Vorgängern schon solide Krimikost, aber die neue Produktion „Schatten“, die diesen Sonntag gezeigt wird, ist um so vieles besser, dass man sich wundern kann. Die Kinderkrankheiten scheinen überwunden, jetzt könnte sich tatsächlich so etwas wie die von den Machern vielbeschworene „Bremer Handschrift“ entwickeln. Der große Unterschied besteht darin, dass Regisseur und Drehbuchautor Thorsten Näter hier kein Krimirätsel stellt, sondern wirklich eine Geschichte erzählt.
In „Schatten“ geht es um eine Gruppe einstiger Rebellen, die in den 70ern in die illegale, politische Szene abdriftete und heute zum größten Teil aus wohlsituierten Bürgern besteht. Aber wenn herauskäme, dass sie damals bei einer Aktion dabei waren, bei der ein Wachmann ums Leben kam, dann wären ihre Karrieren als Politiker, Verleger und Rechtsanwälte dahin – oder als Hauptkommissarin, denn eine von den damaligen Sympathisanten war auch Inga Lürsen, die den Mord an einem ihre ehemaligen Freunde aufklären soll.
Das Opfer, ein Journalist, scheint die Gruppe erpresst zu haben, wahrscheinlich ist also einer von ihnen der Mörder. Zudem kommt noch derjenige aus der Gruppe, der die Verantwortung für den Mord übernahm und als Terrorist in den Nahen Osten untertauchte, mit einem Schiff im Bremer Hafen an und ausgerechnet Inga Lürsen verhaftet ihn. Bald gerät sie selbst unter Verdacht, wird suspendiert und muss den Fall auf inoffiziellen Wegen lösen.
Ein spannendes, für einen Tatort erstaunlich komplexes Buch hat Thorsten Näter da geschrieben. Inspiriert wurde er von der Affäre um Joschka Fischers „Jugendsünden“, und auch Reflexionen über den 11. September flossen in das Skript ein. Er nutzt die Tatort-Konventionen sehr geschickt, um die einzelnen Positionen der Protagonisten darzustellen. Das Gekabbel der Hauptkommissarin mit ihrem Kollegen und die Gespräche mit der Tochter machen hier plötzlich Sinn, denn in diesen Szenen wird deutlich, wie schwer es für Inga Lürsen ist, ihre Position von damals jüngeren Menschen zu vermitteln. In diesem Tatort gerät sie in ein echtes Dilemma, und Sabine Postel scheint da eine wirkliche Herausforderung in der Rolle gefunden zu haben: so gut, glaubwürdig und sympathisch war sie noch nie.
Auch sonst ist dieser Tatort voller guter schauspielerischer Leistungen, und mit Dominique Horwitz (als terroristischer Spätheimkehrer), Dieter Pfaff (als melancholischer Buchhändler), Paul Fassnacht (als dogmatischer Taxifahrer) und Karl Kranzkowski (als Politiker der Grünen) ist er hochkarätig besetzt. Natürlich gilt auch hier, wie in allen Fernsehkrimis, die goldene Regel: „Der Mörder ist immer der beste Schauspieler“. Aber weil das ganze Ensemble so gut spielt, ist er diesmal gar nicht so einfach zu finden.
Weil Thorsten Näter hier subtil und nah an der Realität inszenierte, gibt es ein paar schöne Pointen und Details im Film. So spielt das große Finale beim Bremer Sechstagerennen, man sieht die Schauspieler durch das Chaos in den Hallen rennen, und Roger Moore hat einen kleinen Gastauftritt. Die Bremer Zuschauer dürften sich durch den jagdgeilen und bonierten Staatsanwalt des Films an einen hiesigen realen Amtskollegen erinnert fühlen, wenngleich Thorsten Näter versicherte, diesen nicht porträtiert zu haben, weil er ihn gar nicht kennen würde. Und dann ist da noch die schöne Leiche am Anfang des Tatorts, die – ausgerechnet – vom Pressesprecher der Polizei Frank Kunze gespielt wird.
Wilfried Hippen
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