Showdown am Elysée-Palast

Während der vierte Sieg von Lance Armstrong bei der Tour de France so gut wie perfekt ist, wird sich der Kampf um das grüne Trikot des besten Sprinters erst auf den letzten Metern entscheiden

aus Bourg-en-BresseSEBASTIAN MOLL

Die Streckenführung der Tour de France des vergangenen Jahres war gewagt, und um ein Haar hätte Renndirektor Jean-Marie Leblanc damit das Publikum verprellt. Vom Fuß der Pyrenäen aus mussten die Fahrer damals in der letzten Tour-Woche nach Paris fahren, fast 900 Kilometer durch flaches Terrain. Die Gesamtwertung war bereits entschieden und es drohten sechs Tage Langeweile. Doch Leblanc hatte Glück: Wie auf Bestellung gestalteten Erik Zabel und Stuart O’Grady ihren Kampf um das grüne Trikot so spannend wie noch nie: erstmals in der Tour-Geschichte wurde die Sonderwertung für den besten Sprinter erst auf den Champs Elysées entschieden.

In diesem Jahr wollte Leblanc ein solches Risiko trotzdem nicht noch einmal eingehen. Deshalb mussten die Profis bis drei Tage vor Paris durch die Alpen fahren. Auf den Samstag vor der feierlichen Parade auf dem Hauptstadt-Boulevard legte Leblanc dann noch ein Zeitfahren, in der Hoffnung, der Kampf um Gelb könne sich bis zum Schluss hinziehen, wie etwa 1989 das Duell zwischen Greg LeMond und Laurent Fignon, das LeMond im letzten Zeitfahren am letzten Tag mit acht Sekunden Vorsprung gewann.

Doch wie schon im vergangenen Jahr machte Lance Armstrong Leblanc einen Strich durch die Rechnung. Armstrong düpierte schon in den Pyrenäen seine Gegner gründlich und baute am Mont Ventoux seinen Vorsprung so weit aus, dass schon vor den Alpen die Tour praktisch entschieden war. Die Spannung beim heutigen Zeitfahren besteht nur noch darin, ob Armstrong es schafft, sich für die Niederlage im Zeitfahren von Lorient gegen Santiago Botero zu revanchieren.

So müssen es wieder die Sprinter richten. Und wieder macht Erik Zabel aus der Auseinandersetzung um das grüne Trikot mit dem Australier Robbie McEwen einen Krimi. Seit der Sprintankunft von Beziers am vergangenen Samstag waren Zabel und McEwen punktgleich, gestern gewann der Australier bei der 18. Etappe in Bourg-en-Bresse vor Zabel den Sprint des Hauptfeldes, das 11:45 Minuten nach dem norwegischen Tagessieger Thor Hushovd ins Ziel kam. Jeder von beiden hat eine Etappe gewonnen, der endgültige Showdown wird morgen am Place de la Concorde stattfinden.

Dass Zabel mit nur einem Punkt Rückstand in die Schlussetappe geht, verdankt der sechsmalige Gewinner des Sprinttrikots allein seiner taktischen Schlauheit. Denn im Vergleich Mann gegen Mann bringt in diesem Jahr eindeutig der Australier mehr Zug auf seine Kette. „McEwen ist klar schneller“, gibt sogar Telekom-Teamchef Walter Godefroot zu. Doch Zabel überrumpelte den Rivalen unter anderem, indem er wichtige Punkte bei einem Sprint in den Pyrenäen, zwischen den berühmten Pässen über Aubisque und Tourmalet, sammelte. Robbie McEwen war da längst abgehängt worden.

Der Coup gefiel dem impulsiven Australier gar nicht: „Ich hole meine Punkte im Flachen, wie es sich für einen Sprinter gehört“, motzte er nachher. Und witterte außerdem ein Komplott. Seit vergangenem Jahr unterhält McEwen eine Privatfehde mit Lance Armstrong. McEwen hatte damals attackiert, als der Patron des Feldes eine Pinkelpause einlegte. Die Insubordination nahm ihm Armstrong übel, und es kam in diesem Jahr zwischen den beiden zu heftigen Wortgefechten. Deshalb, glaubt McEwen, habe Armstrong in den Pyrenäen mit dem Team Telekom paktiert und Zabel zu dessen Punkten verholfen. Johan Bruyneel, sportlicher Leiter bei US Postal, hält das für Unfug. „Lance ist viel zu professionell, als dass er zulassen würde, dass solche Dinge Einfluss auf das Rennen nehmen. Dafür geht es um zu viel.“

Beim Zielsprint am Elysée-Palast wird die Wertung um das Trikot, das die Pferdewettgesellschaft P.M.U. sponsert, allerdings nur dann entschieden, wenn es nicht einem der beiden gelingt, bei den Zwischensprints zuvor die Sache klar zu machen. Im vergangenen Jahr reichte Zabel in Paris ein zweiter Platz hinter Jan Svorada, um das grüne Hemd übergezogen zu bekommen, weil er bereits bei den kleinen Sprints irgendwo auf dem Land genügend Punkte eingesackt hatte. Und nach eigenem Bekunden legt Zabel auf einen Sieg am Schlusstag auch gar nicht so viel Wert. „In der Sprinterszene ist Paris nicht so angesehen, weil da viel vom Zufall abhängt und oft Außenseiter gewinnen.“ Vermutlich würde er anders reden, hätte er in Paris schon einmal die Felge vorne gehabt. So wie Robbie McEwen zum Beispiel. Der gewann vor drei Jahren auf den Champs Elysées.