vom dorf zur weltstadt per dekret von RALF SOTSCHECK:
Wie wird aus einer unbedeutenden Ortschaft eine Weltstadt? Paris, Rom und Berlin haben dafür Jahrhunderte gebraucht. In Britannien reicht der Wille der Königin. Weil Queen Elizabeth II. seit fünfzig Jahren auf dem Thron sitzt, ehrte sie zur Feier des Tages fünf Marktflecken: Stirling, Newport, Preston, Lisburn und Newry dürfen sich nun „City“ nennen. Das hat zwar nur symbolische Bedeutung, aber die Stadtväter mussten zuvor ihre speichelleckerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen.
Lord Irvine, der die fünf Städte nach Beratung mit der Queen ausgewählt hat, sagte, die Sieger haben sich durch eine besonders positive Einstellung zum goldenen Thronjubiläum ausgezeichnet. Es gab 42 Bewerberstädte, die Millionen für Videos und Veranstaltungen ausgegeben haben, um sich in ein untertäniges Licht zu rücken. Es ging fast zu wie bei der Vergabe der Olympischen Spiele, allerdings ohne die Bestechungsgelder, denn womit sollte man die reichste Frau der Welt schon kaufen?
Stirling, lange Residenz der schottischen Könige, habe sich ohnehin stets für eine City gehalten, sagte der örtliche Kirchenchef Tommy Brookes. Schließlich verdanke das Pfund Stirling der örtlichen Münzschmiede seinen Namen, und der Rennfahrer Stirling Moss sei nach dem Geburtsort seiner Mutter benannt. Er hat Glück gehabt, dass die Mutter nicht in Shrewsbury zur Welt gekommen ist. Aber warum Newry? Die nordirische Ortschaft, die über Nacht zur City wurde, ist eine Hochburg der Irisch-Republikanischen Armee und noch dazu Geburtsort der südirischen Präsidentin Mary McAleese. Die Stadt hat ihren neuen Status dem protestantischen Lisburn fünfzig Kilometer weiter nördlich zu verdanken. Man will im Nordirlandkonflikt ja nicht als parteiisch gelten.
Das City-Brimborium löste bei den Unterlegenen Missgunst aus. Die Stadtoberen von Wrexham in Nordwales tobten, dass die Bevorzugung des südwalisischen Newport die Teilung des Landes zwischen Nord und Süd für immer festschreiben würde. Aber Newport kann immerhin die Manic Street Preachers und die Finalistin beim letztjährigen „Big Brother“ vorweisen. Wrexham hat dagegen nur eine Verbrennungsanlage für wahnsinnige Rinder zu bieten. Die Tories sind ebenfalls unzufrieden. Sämtliche neuen „Citys“ seien von Labour regiert, monierte Simon Burns, Abgeordneter von Chelmsford, das Dorf bleiben muss. „The City of Chelmsford“ – das klingt ja auch zu affig. Preston, das 1815 als erste Stadt mit Gaslaternen ausgerüstet wurde, hat es dagegen eher verdient, schon alleine wegen seines durchgeknallten Bürgermeisters. „Eine wundervolle Leistung“, trällerte Alan Hackett völlig aus dem Häuschen, „endlich ist Preston auf der Weltkarte verzeichnet. Jetzt geht es unaufhaltsam aufwärts.“
Nächste Woche kommt die Queen nach Preston, wo man ihr zum Dank eine Thronjubiläumsfeier ausrichtet. Einen roten Teppich brauchen die Stadtverordneten nicht: Elizabeth wird über ihre vom Speichellecken glitschigen Zungen ins Rathaus schreiten.
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