das personal der wahl (2): Gerhard Schröders Körpersprache der Achtzigerjahre
Politik des drehenden Schnabels
Es war ziemlich genau vor einem Jahr. Gerade waren die Wachstumsprognosen wieder nach unten korrigiert und ein Anstieg der Inflation bekannt gegeben worden. In diesem Moment erklärte Gerhard Schröder, in bewegten Zeiten käme es vor allem auf eins an: eine „Politik der ruhigen Hand“.
Das Bild wurde von Kommentatoren und Oppositionspolitikern begeistert übernommen. Den einen war die Hand des Kanzlers zu ruhig, den anderen nicht ruhig genug, und hämisch wurde registriert, wenn sie „zuckte“ oder sich gar „zur Faust ballte“. Der rhetorische Mehrwert der Formulierung ist offensichtlich. Doch wie ist es um die Hand des Kanzlers in Wirklichkeit bestellt?
Der Politikwissenschaftler Werner Dieball hat sich in seiner Studie „Gerhard Schröder – Körpersprache“ (Prewest Verlag) auch mit diesem Aspekt beschäftigt. Bei seinen ersten öffentlichen Auftritten als Juso-Chef agiert Schröder noch sprunghaft: Überraschend ballt er die Faust, streckt einen Zeigefinger aus und bildete in dieser Zeit stetig weitere Dominanzgebärden aus, zum Beispiel den „drehenden Schnabel“. Die Hand ist erhoben, der Daumen gekrümmt, und der Zeigefinger zeigt nach außen: „Ich weiß, wo’s langgeht.“
Aus der „knappen Gestik“, in die sich seine zweite Frau Hiltrud knappe zwanzig Jahre zuvor bei ihren ersten Verabredungen verliebt hatte, ist im „Entscheidungsjahr“ 1998 ein körperpolitisches Programm der großen Gesten geworden. Aggressiv, flehend oder auch mal verlegen – Schröder spielt mit seinem Publikum. Er weiß, was er tut: „Die Fähigkeit, sich darzustellen, ist in einer Mediendemokratie unbedingt nötig“, erklärt er kurz vor seinem Einzug ins Kanzleramt. Nach der kurzen Phase, in der er seine Finger mit einer teuren Zigarre beschäftigt hielt, übt sich der Staatsmann Schröder in den nächsten Jahren neben dem Händeschütteln nun in bescheidenen Gesten. Der Glaube an die Möglichkeiten einer kontrollierten Selbstdarstellung, der Gerhard Schröder wie keinem anderen Politiker zu Eigen ist, entstammt dem Geist der frühen Achtzigerjahre. Damals, als die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft zur Alltagserfahrung wurde, wuchs das Vertrauen in individuelle Erfolgsstrategien: „Du musst lernen, dich zu verkaufen.“
Aus der Perspektive der Berufswelt waren die Achtziger das Jahrzehnt der Fortbildungsseminare und Karriereschulungen. Körpersprache gehörte zu den Modethemen. Wer die einschlägigen Bücher der amerikanischen Pantomime Samy Molcho zur body speech nicht gelesen hatte, da war man sich sicher, würde nicht einmal die ersten drei Minuten eines Bewerbungsgesprächs überstehen. So wandelte sich die Körpersprache von einem randständigen psychologischen Forschungsgebiet zur Lingua franca eines neuen Karrierebürgertums aus Banklehrlingen, BWL-Studenten und hoch motivierten leitenden Angestellten, die auf die Beförderung ins Management warteten.
Gerhard Schröder hat gelernt sich zu verkaufen – und den Sprung ins Körpermanagement bewältigt: Aus dem unbeherrschten Juso wurde erst der Kämpfer mit Führungswillen und ausgestrecktem Zeigefinger und dann der Staatsmann, der mit wenigen, aber genau kalkulierten Gesten Souveränität demonstriert. Dass er allerdings angesichts einer Rezession, in der selbst das ausgefeilteste Selbstmarketing in der Tradition der Achtzigerjahre sich endgültig als nutzlos erwiesen hat, ausgerechnet eine „ruhige Hand“ bewahren möchte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Immerhin, eine nette Geste. KOLJA MENSING
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