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Zeugen lassen Anklage hängen

Längst kritisieren Völkerrechtler und Staatsrechtler hinter vorgehaltener Hand das Verfahren als unzureichend vorbereitet. Die Zeugen enttäuschen

aus Den Haag ROLAND HOFWILER

Keine Übertragungswagen mehr, kaum Fotografen. Fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit, so hat man den Eindruck, findet vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag mittlerweile das Verfahren gegen Slobodan Milošević statt. Und der gestürzte Kriegsherr aus Belgrad zeigte sich während der 86 Verhandlungstage stets in Bestform – ungebrochen, unnachgiebig und entschlossen, den Prozess gegen ihn in ein politisches Tribunal gegen die Nato und diejenigen zu verwandeln, die ihm sein mörderisches Handwerk legten und hinter Gitter brachten.

Ohne Verteidiger verteilte der ehemalige Serbenführer verbale Hiebe in alle Richtungen: an die „Verräter in Russland“, die „Kräfte des Bösen in den USA“ und manchen „faschistoiden deutschen Politiker“. Milošević zeigte sich in all den Tagen seit Prozessbeginn am 14. Februar so ausgeglichen, als sei er gerade von einem Adria-Urlaub zurückgekehrt und nicht aus einer Knastzelle, in der er immerhin schon über ein Jahr einsitzt, die Zeit seiner Untersuchungshaft in Belgrad mit eingerechnet.

Nun ist bis zum 26. August erst einmal Sommerpause. Ankläger wie Angeklagter haben ausreichend Zeit, ihre weitere Taktik zu überdenken. Für Chefanklägerin Carla del Ponte eine längst nötige Zäsur. Um die große Zahl von weiteren Zeugenaussagen, die Berge von Akten und die Koordinierung der Ermittlerteams in den Griff zu bekommen, muss sich del Ponte etwas Neues einfallen lassen. Unter Völkerrechtsexperten und Staatsrechtlern wird das Verfahren gegen Milošević hinter vorgehaltener Hand längst heftig kritisiert. Die Anklagen wegen Völkermord in Bosnien, Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kroatien und gegen die Kosovo-Albaner seien mäßig vorbereitet worden, die Ermittler recherchierten oft ungenau, die Zeugen enttäuschten.

Aus Sicht zahlreicher Prozessbeobachter war es schon ein schwerer Fehler gewesen, das Verfahren mit dem politisch angreifbaren, wenig konkreten und juristisch irrelevanten Albanerführer Mahmut Bakalli zu beginnen. Bakalli gehörte im kommunistischen Jugoslawien zeitweilig zur höchsten Politgarnitur und machte sich mitverantwortlich bei der Verfolgung von Regimekritikern. Vor Gericht blieb der Exfunktionär jeden Beweis schuldig, dass Milošević von einem großserbischen Reich geträumt hat und dies mit Waffengewalt durchsetzen wollte.

Selbst der frühere Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, der bundesdeutsche General Klaus Naumann, enttäuschte vor dem Hohen Haus, als er bei seiner Befragung kein einziges Dokument vorlegen konnte, das Aufschluss über Milošević’ wahre Kriegsziele gegeben hätte. Im Kreuzverhör verstrickte sich der General sogar in Widersprüche und gestand ein, deutschen Stellen hätten keine eigenen Beweise für das Rašak-Massaker im Kosovo an albanischen Zivilisten vorgelegen, die Informationen beruhten allein auf US-Quellen. „Also Informationen Dritter präsentiert der Zeuge“, höhnte Milošević. „Das ist doch zum Lachen.“

Meist behielt Milošević, der studierte Wirtschaftsjurist, die Oberhand. Aber Dank zweier westeuropäischer Diplomaten kam es immerhin zu einigen aussagekräftigen Vorwürfen im Sinne der Anklage. Der ehemalige norwegische Außenminister Knut Vollebæk reiste in seiner Funktion als amtierender Vorsitzende der OSZE mehrmals nach Belgrad, um mit Milošević Gespräche zu führen. Dabei verriet ihm der Serbenführer, man habe schon genügend Mittel, um die „Albaner ruhig zu stellen“. Das Kosovo sei „historisches Kernland“ der Serben und wer sich der serbischen Herrschaft nicht beugen wolle, der müsse eben gehen. Auf die Frage, wie, habe Milošević geantwortet: „Drenica 1945 gibt Ihnen die Antwort.“

Dass er diesen Satz gesagt hat, konnte Milošević vor dem Tribunal nicht bestreiten. Und Drenica ist für die Albaner Symbol eines grausamen Massakers, das die jugoslawischen Kommunisten an angeblichen albanischen Kollaborateuren begangen haben, eines Massenmords an alten Männern, Kindern und Frauen kurz nach Ende des 2. Weltkriegs.

Auch der frühere britische Balkan-Unterhändler und derzeitige Hohe Präsentant der UNO für Bosnien, Paddy Ashdown, konnte Milošević vor Gericht überzeugend vorwerfen, dass er als Präsident vom Niederbrennen albanischer Dörfer wusste, diese Aktionen seiner Truppen aber als „notwendige Antwort auf den albanischen Terrorismus“ guthieß.

Als Emissär der britischen Regierung hatte Ashdown die systematische Plünderung und Zerstörung albanischer Dörfer im Kosovo und die Vertreibung der Zivilbevölkerung lange vor den Nato-Luftangriffen miterlebt. Er sprach mit Überlebenden und Vertriebenen. Im September 1998 überbrachte Ashdown Milošević einen Brief von Tony Blair, in dem der Premierminister diesen vor „dem Einsatz exzessiver und undifferenzierter Gewalt“ warnte. „Ich erklärte ihm, er sei dafür verantwortlich, und bat ihn, damit aufzuhören.“ Milošević damals: „Wir allein wissen, wie wir gegen dieses Albanerpack vorzugehen haben.“

Ashdown war bislang auch der einzige Zeuge der Anklage, der ein schriftliches Dokument vorlegen konnte: eine Skizze des verstorbenen kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman, auf der dieser Milošević die Zerschlagung des jungen Staates Bosnien in einen kroatischen und serbischen Landesteil vorschlug. Der Angeklagte musste eingestehen, dass es solche Pläne gegeben hat. Doch auch dieses Dokument ist juristisch von zu geringem Gewicht, um Milošević des Völkermords überführen zu können.

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