: berliner szenen Pommersche Perspektive
Hitze frei
„Wegfahren muss sein!“, verkündete G. apodiktisch. Ohne mich, gerade wenn es hier mal schön ist: laue Luft, mehr Platz und Ruhe und ständig neue Touristengesichter. Das ist Urlaub! „Und das Meer?“ G. ist gewiefter Kasuist: „Urlaub ohne Meer geht nicht. Ihr fahrt nach Usedom, das ist eigentlich noch Berlin, die Bahn bringt euch für wenig hin, und außerdem vermietet mein Onkel dort günstige Zimmer. Mit weitem Meerblick!“ Gegenwehr ist zwecklos, persönlich setzt G. mich und M. am nächsten Tag am Zoo in den Zug. „Ich habe euch noch einen Plan für die Zwischenstopps zusammengestellt. Soll sich ja lohnen, so eine Fahrt“.
Der Dom zu Prenzlau, Trappengucken in der Schorfheide, Botho Straußens Kate in der Uckermark – G. hat an alles gedacht. Hinter Hohenschönhausen beginnen die blühenden Landschaften, menschenleer. Wunderschön. Trappen singen am Streckenrand Bocksgesänge, ein Dichter predigt im Plattenbaudom. Die Schaffnerin weckt uns. Umsteigen in Züssow: Eine unsagbare Weite – Gleise, Felder, Wälder bis zum Horizont, Hitzeflimmern, der Bahnhof ziegelrot. Ein Idyll mit Kiosk, Kaltem Hund und Bier. Für jedes Bier gibt es einen Korn aufs Haus. Die Wirtin erklärt uns, wer von den Umsteigern wohin und mit wem und warum. Hochinteressant. Bahnhofsgastronom in Züssow, von Schnaps zu Schnaps scheint mir die Perspektive verlockender. M. ist begeistert, der Wirtin mein Übernahmeangebot zu gering. Schade. Mit Mühe kriegen wir den letzten Zug zur Insel. Mückenschwärme und G.s alter Onkel empfangen uns am Bahnhof. Sein Quartier liegt auf dem Hügel – 18 Prozent Steigung?! Stolz schleppt er uns hinauf. „Dja, alles habt ihr Wessis auch nicht platt machen können. Willkommen in Zinnowitz!“ CARSTEN WÜHRMANN
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