: Eine Insel sitzt auf dem Trockenen
Seit Monaten warten die Sizilianer auf Wasser. Es kommt ohne Verankündigung, mal mitten in der Nacht, mal morgens, mal am späten Nachmittag
aus Rom MICHAEL BRAUN
Warten auf das Wasser. Stunden. Tage. Ein trockenes Gurgeln in der Leitung – endlich ist es soweit. Zum ersten Mal seit einer Woche tröpfelt der Hahn, und für drei oder vier Stunden kehrt fast so etwas wie Normalität ein. Aber auch nur fast: Neben der schnellen Dusche steht hektische Aktivität an, müssen Eimer, Kanister, Badewannen gefüllt werden, um die nächsten sieben trockenen Tage zu überstehen. Pech hat, wer gerade schläft oder auf Arbeit ist – das Wasser kommt ohne Regel und ohne Vorankündigung, mal mitten in der Nacht, mal morgens, mal am späten Nachmittag.
Alltag in Palermo, seit Monaten schon, und nicht nur dort. Weite Teile Siziliens, Apuliens, Kalabriens, Sardiniens leben mit dem Wassernotstand. Bei 35 Grad Sommerhitze können sich die Menschen bestenfalls eine Katzenwäsche erlauben, und während der wöchentlichen Dusche müssen sie darauf achten, dass sie nicht plötzlich mit schamponiertem Haar im Trocknen stehen.
Der Bischof von Palermo ruft die heilige Rosalia an, die die Stadt immerhin schon vor ein paar hundert Jahren vor der Pest errettet hat, und die Bürger rüsten auf. Klempner haben Hochsaison in Süditalien, bauen Tanks ein, wo immer ein freies Eckchen in der Wohnung ist, installieren elektrische Pumpen, um dem Nass bei schwachem Leitungsdruck auch in die oberen Stockwerke zu helfen.
Hunderte von Euro kostet der Spaß. Nur um ans eigentlich Selbstverständliche zu kommen, müssen die Menschen in Süditalien viel Geld zahlen – und obendrein ihre Wohnung verschandeln. Hinterm Sofa stehen hässliche Plastikkanister in Reih und Glied, neben dem Ehebett türmen sich Mineralwasserpacks. Dazu kommt der Zeitaufwand auf der Jagd nach Wasser; wem das Getröpfel aus dem Hahn nicht ausreicht, der muss sich wohl oder übel auf der Straße beim privaten Wasserlieferanten anstellen und sich aus dem Tankwagen – natürlich wieder gegen reichlich Euros – die Kanister abfüllen lassen. Oder er kann auf einen Schluck in die Bar „Aqua“ gehen, die vor einem Monat in Palermo eröffnet hat. Dort gibt’s nur ein Getränk: Leitungswasser, für 16 Cent den Liter.
Während niemand bisher die privaten Schäden errechnet hat, liegen mittlerweile erste Schadenskalkulationen für die Landwirtschaft vor. Den Bauern vertrocknen die Tomaten an den Sträuchern, verwelken die Salatköpfe – allein in Sizilien machen die Landwirte Verluste von zwei Milliarden Euro geltend.
Fast gelangweilt berichten die Fernsehsender mittlerweile über die Proteste der aufgebrachten Bürger, die schon seit Mai immer mal wieder auf die Straße gehen, mit Polizisten rangeln und ein paar Müllcontainer abfackeln. Erst als tausende Bauern in Apulien, in der Basilikata, in Sizilien mit ihren Traktoren Straßenblockaden errichteten, wurde das Wasser zum Thema für die Politik.
Entschädigungszahlungen für die Bauern in Höhe von 500 Millionen Euro, dazu vom Staat gestellte Tankwagen, schließlich Bohrtrupps der früher staatlichen Petrochemie-Holding ENI, die in Sizilien statt nach Öl nun nach Wasser bohren sollen – am Notstand wird das so wenig ändern wie die schon im Mai von Siziliens Regionalregierung vollmundig angekündigten Schiffe mit Meerwasser-Entsalzungs-Anlagen, die bisher allerdings noch nicht gesichtet wurden.
Die Staubecken seien nun mal zu nur noch 17 Prozent ihrer Kapazität gefüllt, machen Berlusconis Minister geltend, und dieses Jahr erlebe Süditalien zudem die schlimmste Dürre seit 70 Jahren. Berlusconi selbst, der immerhin zum Amtsantritt ein „italienisches Wunder“ versprochen hatte, erklärt nun, auch er könne das Problem „nicht mit dem Zauberstab lösen“.
Derweil steigen die Helikopter von Polizei und Carabinieri auf, um den Profiteuren der Krise auf die Spur zu kommen, jenen, die zum Gratis-Eigenverbrauch oder auch zum schwunghaften Handel Wasser aus den Kanalisationsnetzen und Fernleitungen abzweigen. Diverse künstliche Seen in Privatregie wurden schon ausgemacht, die Polizei hat bislang mehr als 200 Wasserdiebe gefasst. Ein paar Sündenböcke sind damit gestellt, und ein neuer nationaler Notstandskommissar fürs Wasserproblem – ein pensionierter General – ist auch schon angeheuert. Doch die Wasserhähne bleiben trocken: „In diesem Jahr kann man nichts mehr tun“, konstatierte Landwirtschaftsminister Gianni Alemanno ungerührt.
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