dördedördör*
: Pisa in Ostfriesland

Tief unten – schief oben

Mäkler und Käkler sind in Ostfriesland eine Institution. Eine offene, tolerante, demokratische Gesellschaft braucht Käkler und Mäkler. Die Welt beneidet Ostfriesland um diese Leute.

Hier leben die Menschen, die im harten Lebenskampf, also beim Boßeln, in genauer Beobachtung geschult, in ihrer deutlichen Sprachführung geübt und in ihrer Leber standhaft sind. Der große Wurf mit einer Gummi- oder Holzkugel (mit Bleikern) ins Blaue eröffnet Möglichkeiten, die durch die Kommentare, eben das Käkeln und Mäkeln, die richtige Richtung bekommen.

Wer hat den Schiefsten?

Der normale Mensch denkt schief, ist schief, und Schnaps ist Schnaps. Falsch! Suurhusen/Krummhörn und Midlum/Rheiderland streiten sich, wer schiefer ist. Das heißt, sie streiten sich darum, wer den schiefsten (schieferen?) Kirchturm der Welt hat. Ja, denkt der Laie, sollen sie doch nachmessen.

So einfach ist das nicht. Suurhusen hat einen Neigungswinkel von 5,07 Grad, Midlum dagegen einen von 6,27. Aber, merkt ein Mäkler an, der Krummhörner Kirchturm ist 27,37 Meter hoch, der Rheiderländer aber nur 14 Meter. Hoch ist nicht schief, aber solch eine Gemeinheit kann sich nur ein rheiderländer Käkler ausdenken? Schief, hoch, egal, der Ball ist rund.

„Ich bin gut“

Halt! Der Turm in Suurhusen steht nicht frei, klebt ängstlich am Kirchenschiff. Der in Midlum dagegen steht zu seiner Schiefheit, frei und allein und schreit in echter Sesamstraßenmanier: „Ich bin gut, weil ich so frei und so schief bin.“

Anmerkung von jenseits des Deiches: Der Kampanile des Domes zu Pisa (vulgo „Schiefer Turm von Pisa“ ist 55 Meter hoch und hatte zu Bestzeiten (1990) einen Neigungswinkel von 5,5 Grad. Experten meinen, Türme mit einem Neigungswinkel von über 5,4 Grad müssten eigentlich stürzen. Dann allerdings gelten sie nicht mehr als schief.

Rekord im Biersaufen

Mein Nachbar Hinni ist pensionierter Klempner, er nimmt den Schiefer-Streit handwerklich: „Denen gehört eins hinter die Löffel. Wo gerade sein muss, muss auch gerade.“

Ein anderes Maß nimmt Hinni allerdings in Werdum. Dort wurde die längste Biermeile gemessen. Das Dorf stellte sich auf zum Biertrinken, um ins Guinness-Buch (!!) der Rekorde zu kommen. Fast 1,5 Kilometer lang soff sich die Dorfgemeinschaft bis zur Kante. Ich dachte immer, eine Meile ist eine Meile („milia passuum“, lat. = tausend Schritte; die geographische Meile wird gewöhnlich als 1/15 eines Äquatorgrades zu 7420,439 m gerechnet; Seemeile 1,852 km, international vereinbarte Längenmessung, entspricht etwa einer Bogenminute auf einem Erdmeridian.). Pisa live?

Bin ich Jesus?

Apropos Messlatte. Die Firma BorkhoffBau aus Brookmerland hat den längsten Zollstock der Welt hergestellt. Warum? Ja, was weiß ich? Was damit gemessen werden soll? Bin ich Jesus? „Vielleicht“, freut sich der Geschäftsführer der Firma, „vielleicht können wir ja den höchsten Kluntjeberg (ostfriesischer Kandis zum Tee), der auf dem Auricher Stadtfest aufgehäufelt wird, nachmessen.“

Käkler und Mäkler sind die Philosophen Ostfrieslands. Es geht um Naturgesetze. Dabei ist der naturwissenschaftliche Zugriff nicht so entscheidend. Auslegung, Interpretation und die Bewertung – das ist das Geschäft der Käkler und Mäkler (einziges Naturgesetz: Null Frauen in diesem Job).

Es mäkelt ein Käkler

Der tiefste Punkt Deutschlands liegt in der Krümmhörn (Freepsum). Nein, mäkelt ein Käkler, der tiefste Punkt liegt im Rheiderländer (Wynhamster Kolk). Seit es Fremdenverkehr gibt, streiten sich die Gemeinden, wer tiefer liegt. Messen wir nach? Freepsum 2,30 Meter unter Normal Null (=Landhöhe in Bezug zum mittleren Hochwasser des Wasserpegels der Nordsee in Amsterdam). Der Wynhamster Kolk liegt 2,51 unter NN. Wo ist das Problem? Nennen wir es Neuendorf. Das liegt in Schleswig-Holstein und ist nun wirklich der tiefste Punkt Deutschlands (3,54 Meter unter NN).

Thomas Schumacher

* „Dör de dör dör“ heißt: „durch eine Tür durchgehen“. Dabei ist nicht unbedingt klar, ob die Tür offen steht oder nicht. Ostrfriesen mögen solche Spitzfindigkeiten nicht.