der housesitter: Nachtleben
Der Zeitschalter
Die Nachbarin von Frau N. war ziemlich aufgeregt. Gestern Abend habe sie in der Wohnung auf einmal Licht gesehen. Aber das Ehepaar N., das zurzeit auf Wein- und Olivenprobe durch das Cinque Terre tourt, komme doch erst übernächste Woche zurück.
Da ich so lange auf die Wohnung aufpasse, konnte ich sie beruhigen. Herr N. hat wie immer zwei Zeitschaltuhren im Wohnzimmer liegen lassen. Er kann sie nicht bedienen, sagt er, und so darf ich schon das dritte Jahr eine Abendgestaltung hinter den Gardinen installieren.
Keine Ahnung, warum Herr N. mit den Uhren nicht klarkommt. Man muss nur einige Lampen über die Zeitschalter in die Steckdose schieben, die Uhr stellen und dann verschiedene Nippel drücken. Wenn man will, geht das Licht jede Viertelstunde aus und nach den nächsten 15 Minuten wieder an – wie in einem Leuchtturm. Aber das wäre natürlich zu auffällig. Es würde nicht nur jeden Einbrecher stutzig machen, sondern wahrscheinlich auch die Anwohner ziemlich ärgern.
Leider handelt es sich jedoch um billige Zeitschaltuhren, die nur einen einzigen 24-Stunden-Ablauf zulassen, und nicht um die besseren, bei denen man jeden Wochentag einzeln einstellen kann. Sonst könnte man bei der Abendgestaltung der Familie N. auch berücksichtigen, dass sie eventuell Tatort-Fans sind, aber keine Christiansen-Anhänger, dafür notorische dienstägliche Kinobesucher. Dienstag ist Kinotag. Ich habe da totale Freiheit.
In Ermangelung besserer Zeitschalter muss ich den N.s also auch dieses Jahr wieder eine eintönige Woche verschaffen. Im vorigen Jahr habe ich mir vorgestellt, dass sie die drei Wochen gar nicht in verreisen, sondern ziemlich viel arbeiten. Kurz nach dem heute-Journal wurde es also in der gesamten Wohnung dunkel, dafür schaltete sich die Küchenlampe schon um halb sechs wieder ein – noch in Dämmerung, so dass es auch von draußen zu sehen ist.
Diesmal habe ich mir ausgedacht, dass das Paar ausnahmsweise im Urlaub zu Hause bleibt und für richtig lange Abende Zeit hat. Also werden die Tagesthemen geschaut, und einer der beiden wechselt noch während der Sendung ins Schlafzimmer, um zu lesen, einen richig langen Schmöker. Die Nachttischlampe schaltet sich also ein, wenn in den Tagesthemen in etwa Zeit für den Kommentar ist, und pünktlich um viertel vor eins wieder aus. Am nächsten Tag wird lang geschlafen.
Die Nachbarin kümmert sich übrigens nur um die Post, ich mich um die Wohnung und die Blumen. Sie habe Angst vor fremden, verwaisten Wohnungen, sagt sie. Also ist es an mir, den großen Balkon zu pflegen. Wenn es so heiß ist wie zurzeit, heißt das täglich Gießen – mindestens 15 Liter. Da bleibt auch Zeit, den Abend der N.s ein bisschen individueller zu gestalten. Heute beispielsweise ist der Schmöker ausgelesen. Dafür kommt ein Dokumentarfilm über Friseure in Berlin. „Waschen und Legen“ um 22.15 Uhr auf SFB. Den mögen die N.s sicher. JÖRN KABISCH
Jörn Kabisch geht diesen Sommer nicht wie seine Kollegen nach Feierabend ins Schwimmbad. Er hütet Wohnungen.
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