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Von Trash zu Trash

Dilettantisch, aber durchaus herzlich: „We are family“, die brandneue Produktion der Teufelsberger im Tränenpalast

Langjährige Fans kennen die Produktionsweise der Teufelsberger und damit auch den Zustand der jeweils neuen Stücke der Comedy-Trash-Show-Truppe am Premierenabend: Die ohnehin nur rudimentär vorhandene Dramaturgie ächzt und quietscht an allen Ecken und die diversen Patzer, Texthänger und sonstigen Pannen werden durch rotziges Improvisieren einfach weggespielt. Dieser Anstrich hemmungslosen Improvisationstheaters, das auf Textbücher schon aus Prinzip verzichtet, macht einen Großteil des Charmes der Teufelsberger aus. In den 20 Jahren ihres Bestehens haben sie sich erfolgreich gewehrt, wirklich professionell zu werden.

Gleichwohl, bei der ohnehin stark verspätet begonnenen Premiere von „We Are Family“ in stickig-schwüler Sommerluft wurde die Geduld und die Nachsicht der Fans auf eine harte Geduldsprobe gestellt. Über drei Stunden schleppte sich die Show. Songtexte saßen nicht, Umbauten klappten nicht, und den meisten viel zu lang und strukturlos geratenen Dialogen fehlte schlicht die Pointe. Zu sehen gab es allenfalls eine Durchlaufprobe. Das fertige Stück, so lehrt die Erfahrung des geübten Teufelsberg-Besuchers, wird wohl erst in der zweiten Spielwoche zu erwarten sein. Diese könnte dann tatsächlich komisch sein. Denn inmitten ihres Materials, das sie aus den popkulturellen Großfamilien namens Kelly und Trapp geschlagen haben, verbirgt sich nicht nur Humor, sondern es gibt auch Seitenhiebe auf die Unterhaltungsbranche im Allgemeinen und das Popbusiness im Speziellen. Die kinderreiche Familie Przygodda haust im Schöneberger Sozialpalast an der Potsdamer Straße und stellt jedem Sozialarbeiter eine unlösbare Aufgabe. Die Mutter verstarb bei der Geburt von Tochter Tiffany (der schwergewichtige, komische und geniale Gert Thumser – warum liegen dessen Talente seit seiner Trennung von Cora Frost eigentlich so brach?).

Nun schlägt sich der Vater mit einer 12-jährigen schwangeren, frühreifen Göre (Biggy van Blond), einem überbegabten Sohn (Bob Schneider) und einem Tourette-kranken Schwerenöter herum. Eine Novizin (Petra Krause) aus dem Kloster kommt, wie einst bei der Familie Trapp, zur Hilfe und bringt ihnen auch gleich die richtigen Töne bei. Der steile Weg von der Proll-Sippe zur Pop-Truppe ist geebnet. Warum auch nicht: „Diana kam auch aus ganz einfachen Verhältnissen und ist Prinzessin geworden.“

Die Teufelsberger haben in den letzten Jahren ihr Publikum enorm vergrößern können. Einhergegangen ist damit leider eine Tendenz zum Schwank, zum Boulevard der Off-Theater-Unterhaltung. Nur selten findet man noch ihren typisch subversiven Underground-Humor.

Beruhigend wenigstens, dass beispielsweise Ades Zabel als Altnazi-Oma und Möllemann-Sympathisantin Winnifred sich in ihre Uniform schmeißt und im Stechschritt und Vollplayback uns Kylie Minogues „Your Disco Needs You“ zuruft und die Textzeile „Lass dein Volk nicht im Stich“ plötzlich eine überraschend neue Konnotation erhält.

AXEL SCHOCK

Bis 18. August, Mi.–So., 20.30 Uhr, Tränenpalast, Reichstagsufer 17, Mitte

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