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Warum nicht … alle gut … immer besser

Im Halbfinale um den Ligapokal gewinnt Berlin gegen Dortmund mit 2:1  –  und Huub Stevens an Erotik

JENA taz ■ Er sieht aus wie ein Schnäppchen vom klingonischen Trödelmarkt und ist offenbar zu erstaunlichen Dingen fähig. Fußballmannschaften, die sich in einem Wettbewerb namens Ligapokal um die Siegerschüssel – einen sechseckig eingefassten Bergkristall – streiten, wandeln nach Spielende ihr Wesen, kehren verblüffende Eigenschaften hervor und sind dabei auch noch extrem gelöst. Der Berliner Stürmer Alex Alves zum Beispiel, dem am Dienstagabend im Jenaer Ernst-Abbe-Stadion zweimal der Ball vom Fuß ins Tor gesprungen war, gab das erste komplett in Deutsch gehaltene TV-Doppelinterview seines Lebens. Mit frisch pomadisierten Haaren sprach der Brasilianer, der sich ohne seinen Übersetzer sonst keiner Mixed-Zone nähert: „Wir alle zusammen … warum nicht … alle gut … immer besser.“

Vom explodierenden Wortschatz überrascht, schnappte sich auch noch ein drittes Kamerateam den Sprachschüler, derweil Herthas Trainer Huub Stevens einem Fan ins Programmheft schrieb: „Für Annett, ihr erotischster Trainer der Bundesliga.“ Eine Hostess bemerkte mit beglücktem Lächeln: „Mensch, die sind ja alle saufreundlich, die sagen sogar tschüs.“ Sie meinte die Herren Ricken, Metzelder und Co., die nach Spielen, welche nicht unter dem Einfluss des Kristalls stehen, mitunter grußlos gehen. Wie schön muss es da sein, ohne nervliche Anspannung auszukommen und trotzdem in den Fußballhochburgen Lübeck, Meppen, Aue und Jena bejubelt zu werden.

Ein Fußballspiel gab es auch zu sehen. Ein Halbfinale. 11.900 Zuschauer schauten zu. Hertha BSC gewann 2:1 gegen Borussia Dortmund. Der BVB vergab ein Dutzend gute Torchancen und benötigte einen geschenkten Elfmeter zum Anschlusstreffer. Immerhin zeigte der Schütze, Lars Ricken, nach dem Strafstoß die bemerkenswerteste Leistung des Abends: Er sprintete dem im Netz zappelnden Ball hinterher, als hätte er sich in ein Champions-League-Finale verirrt und befände sich nicht in der Bergkristall-Sommerliga, deren Begegnungen keinen Verlierer kennen und von der die SZ weiß: „Der Ligapokal zählt nicht, er geht bloß als Titelchen durch.“

Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) zieht seit vergangenem Jahr mit dem Kristall übers Land, der Ligapokal wird seit 1997 ausgespielt. Wo er Station macht, breitet sich Jahrmarktstimmung aus. Sechs Mannschaften nehmen an der Tour durch Deutschlands Provinz teil: die besten der letzten Bundesliga-Saison. Sie dürfen im Vorfeld der neuen Spielzeit miteinander üben, und zwar so, dass es keinem weh tut. Jeder Profi kann mitmachen, auch die Bankdrücker – und die Öffentlich-Rechtlichen übertragen das dann zur Prime-Time. Obendrein schüttet die DFL satte Summen aus. Eine Antrittsgage von 255.000 Euro, 1,27 Millionen für den Sieger. Und selbst die unterlegene Borussia freut sich auf eine Überweisung von 511.000 Euro, in kirchkriselnden Zeiten mehr als ein paar Brosamen. „Um auf eine solche Summe zu kommen, müsste man schon einige Freundschaftsspiele bestreiten“, errechnete Werder Bremens Sportdirektor Klaus Allofs.

Heute Abend stehen sich Schalke 04 und Berlin im Finale in Bochum gegenüber. „Da kommt etwas auf uns zu“, sagte Huub Stevens und entzog sich für einen kurzen Moment der Strahlkraft der Klingonen-Schüssel. „Ich habe meine Sorgen über die vielen Spiele, die wir noch haben.“ Hertha tritt fast im Zweitagesrhythmus an, bevor es zum Bundesliga-Auftakt erneut gegen den BVB geht. In Dortmund. Verständlich, dass beide Teams jeweils auf eine Handvoll Stammspieler verzichteten und der zweiten Reihe Einsatzminuten schenkten. „Wir wissen, dass wir 90 Minuten fighten können“, lautete nach Spielende die Erkenntnis von BVB-Trainer Matthias Sammer. Das fahrlässige Verdaddeln von Tormöglichkeiten war ihm nur ein Nebensatz wert.

„Die Dortmunder haben uns ein paar mehr Chancen gegeben, als dem Matthias lieb war“, glaubte Hertha-Manager Dieter Hoeneß. „Da kenn ich den Matthias Sammer einfach zu gut.“ Hoeneß lag wohl dieses eine Mal mit seiner Menschenkenntnis daneben. Manchmal führt der Bergkristall eben auch in die Irre. Aber dies ist nicht seine stärkste Wirkung. Er macht vergesslich. Nächste Woche wird sich niemand mehr an dieses Spiel erinnern können – als hätte es nie stattgefunden. MARKUS VÖLKER

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