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Grüne Haare – das gibt rote Ohren

Chaostage in München beginnen heute mit großem Polizeiaufgebot. Veranstalter rechnen vor allem mit Polizeichaos. Punklegende Karl Nagel sitzt im Café und ahnt voraus: „Die Punks wissen selber nicht Bescheid, weil nichts organisiert ist“

aus München OLIVER HINZ und JÖRG SCHALLENBERG

Was an diesem Wochenende in München wirklich passieren wird, weiß niemand. Nicht einmal die Punklegende Karl Nagel, der zusammen mit ein paar Freunden 1982 in Hannover die ersten Chaostage initiierte. Man könne alle Prognosen für das erstmals in München geplante Treffen vergessen, sagte Nagel der taz: „Die Punks wissen selber nicht Bescheid, weil nichts organisiert ist. Vielleicht werden es die größten Chaostage aller Zeiten oder es bleiben alle zu Hause, weil schlechtes Wetter ist.“

Nagel – hinter diesem Synonym steckt der Hamburger Grafikdesigner Peter Altenburg – ist von dieser Situation begeistert: „Das ist genau die Art von Chaos, die mir gefällt. Die Polizei irrt hilflos rum und ihr Medienleute auch. Es gibt tausend Aufrufe im Internet, aber was bedeutet das schon? Gar nichts. Da kann jeder Dorfpunk rumspinnen.“

Aus Sicht des 41-Jährigen sind sowieso Medien und Polizei die wahren Veranstalter der Chaostage: „Egal, wer kommt, die Polizei wird München für drei Tage in ein Chaos verwandeln. Die werden alle Leute aufgreifen, die bunte Haare haben, egal ob das Technokids sind oder Bankangestellte, die einen Irokesenhaarschnitt haben, weil dieser Beckham einen trägt.“ Die Münchner Sicherheitskräfte hatten Alarm geschlagen, als sie im Internet lasen, dass die Punkerszene für heute bis Sonntag zu Chaostagen in die Landeshauptstadt einlud. „Die Chaoten kommen mit grünen Haaren, im schlimmsten Fall gehen sie wieder mit roten Ohren“, zitiert der Bayerische Rundfunk einen Polizisten.

Münchens Polizeipräsident Roland Koller drückt sich vornehmer aus: „Wir werden auch kleinere Ansammlungen von Punks sofort ansprechen und ihnen gegebenenfalls Platzverweise erteilen. Und wenn sie die nicht befolgen, werden wir sie in Gewahrsam nehmen.“ Ein Großaufgebot von 200 Münchner und 1.300 auswärtigen Beamten solle die Stadt vor den erwarteten „0 bis 5.000 Chaoten“ schützen.

Der bayerische Justizminister Manfred Weiß (CSU) warnte potenzielle Teilnehmer, in den Gefängnissen seien „genügend Zimmer frei“: „Wenn Punker, Autonome und Chaoten meinen, sie könnten hier in München ihre überschüssigen Energien abbauen und Randale machen, werden sie die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.“ Der parteilose Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle entschied sich für einen Mittelweg zwischen „nichts tun“ und einem „generellen Betretungsverbot für Chaoten“. Er untersagte von heute 0 Uhr bis Sonntag 24 Uhr „alle Aktionen einzelner Personen bzw. Personengruppen, die zur Vorbereitung, zur Durchführung oder als Bestandteil der so genannten Chaos-Tage geplant oder diesen zuzurechnen sind“. Identifiziert würden solche Personen nicht nach Aussehen, sondern an den Handlungen „Beschimpfen, Anpöbeln, Beleidigen, Anspucken, Beschmutzen und Bedrohen von Passanten“, heißt es in der städtischen „Allgemeinverfügung“.

Die zusammen mit der SPD in München regierenden Grünen hatten im Stadtrat erfolglos die Aufhebung der Verordnung gefordert, weil sie „Willkürmaßnahmen gegen völlig Unbeteiligte“ befürchten. „Die Allgemeinverfügung droht die Allgemeinheit zu treffen anstatt einzelne Straftäter“, protestiert Fraktionschef Siegfried Benker. Die PDS kämpfte in einem Antrag, über den dann nicht abgestimmt wurde, für die Genehmigung einer Chaosmeile. Als Ersatz will die Ingolstädter Bundestagsabgeordnete und bayerische Spitzenkandidatin der Sozialisten, Eva Bulling-Schröter, heute von 15 bis 18 Uhr in der Kaufingerstraße am Richard-Strauss-Brunnen allen Punks, „die trotz der Polizeikontrollen bis in die Innenstadt vordringen, ein Chaostage-Survival-Kit schenken“. Die Einschränkung der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit durch die Stadt empfindet sie als „Absage an den Rechtsstaat“.

Der Vater der Chaostage, Nagel, wird zum 20. Jubiläum nach eigenen Worten „wahrscheinlich“ nach München reisen, um „gemütlich von einem Café aus zu beobachten, was denn nun passiert“. In der Münchner Szene blickt man den Chaostagen eher besorgt entgegen. Oliver Nauerz, der zusammen mit seiner Frau das Punkmagazin Kruzefix herausgibt, hofft, „dass die Chaostage nicht als Vorwand genommen werden, um irgendwelche Aktionen gegen uns zu starten“. Die Punks aus den Städten, in denen Chaostage stattfanden, hättenen hinterher meist schwer unter Repressionenzu leiden.

www.chaostage2002.de

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