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Hämischer Bocksgesang am Spielfeldrand

Zweitligist Union Berlin vor dem Saisonstart am kommenden Samstag: Das Vorbereitungsspiel gegen Hansa Rostock (0:3) an der Alten Försterei bringt die Zuschauer auf und macht Union-Trainer Wassilev unzufrieden. Der hat hohe Ziele

Union hat es jetzt schwarz auf weiß. „Wer spielt immer volles Rohr? Eisern Union. Wo riecht’s nach verbranntem Rasen? (Bei) Eisern Union.“ Die Macher des Heftchens „Gesänge für die Ränge“ haben auch Nina Hagens Nordkurvenkracher „Eisern Union“ abgedruckt. Eine Woche vor dem ersten Saisonspiel gegen Mainz 05 können Unions Anhänger allerhand Hits einstudieren. „Zur Hertha gehen wir nicht“ beispielsweise oder „Und wir singen und wir springen“.

Ins Gesangbuch wurde am Samstag allerdings wenig geschaut. Am Rande des Vorbereitungsspiels gegen Hansa Rostock, das schließlich mit 0:3 verloren ging, wurden vielmehr die üblichen Einzeiler zum Besten gegeben. Nach dem ersten Gegentreffer in der 28. Minute kam es unter den Stammgästen der Haupttribüne zu folgendem Gespräch: „Die spielen ja wie die Eier.“ – „Hm, ein echter Rentnerkick!“ – „Ach was, da hast du die anderen Spiele nicht gesehen.“ – „Die verweigern regelrecht die Arbeit.“ – „Weißte was, ich hab gehört, die spielen ab sofort nur noch körperlos.“

Folglich kamen die Freizeitkritiker zur Erkenntnis, dass sich Union niemals schlappe Kicks leisten darf, denn „Unioner kämpfen immer“, die Vereinsgeschichte von den Schraubschlüssel schwingenden Schlosserjungs verpflichte quasi zu intensiver Schichtarbeit – auch unter brütend heißer Sonne und gegen einen überlegenen Erstligisten. Was folgte, waren noch zwei Tore der Rostocker und der anschwellende Bocksgesang der Stammgäste, die mit zunehmender Zeit immer schwärzer sahen, gegen Spielende ihren Club sogar in der Regionalliga.

Ronny Nicol ist das Zetern der Fans auf dem Spielfeld nicht entgangen. Er ist noch einer der besseren Union-Spieler im Stadion An der Alten Försterei, in das zur Saisoneröffnungsparty 4.000 Zuschauer gekommen sind. „Nach dem Tor sind wir zusammengebrochen“, erklärt er. „Wir haben plötzlich Angst und stellen uns hinten rein. Wir tun einen Schritt vor und zwei zurück.“

Trainer Georgi Wassilev greift zur Erklärung in den Metaphern-Fundus der Köpenicker und sagt: „Nach 28 Minuten sind unsere Maschinen gebrochen.“ Dann nuschelt er bedeutungsvoll: „Ich habe die Wahrheit gesagt.“ Dieses Bekenntnis bezieht sich auf ein Zeitungsinterview, in dem Wassilev seiner Mannschaft Charakterlosigkeit unterstellte. Sie habe nur Geld im Kopf und nicht die harte Trainingsarbeit. Wegen der Sparzwänge des Clubs sollen die Prämien der Spieler gekürzt werden. Die Mannschaft sträubt sich dagegen. Noch immer wird über die Höhe der Kürzungen diskutiert. Manches Boulevardblatt deutet die Prämienposse als Krise. „Das wird hochgebauscht“, wiegelt Nicol ab. Präsident Heiner Bertram gibt ihm recht. „Das Gerede von einer Krise ist Quatsch.“ Das Wassilev-Interview hält er freilich für „unglücklich“.

Beide, Präsident und Trainer, pflegen einen pragmatischen Umgang. Der Bulgare liebt den Fußball und Bertram seine Vision. „Ich habe die Vision, dass Union unter meiner Ägide aufsteigt“, deklamiert er auch an diesem Samstag. Für die kommende Spielzeit prognostiziert er etwas zurückhaltender: „Wir werden im ersten Drittel mitspielen.“ Das müsse theoretisch klappen.

Der Praxistest gegen Hansa Rostock ging jedoch ordentlich daneben. „Das ist nicht genug, ich erwarte mehr“, grummelte Wassilev, dessen Ansprüche hoch sind. Nicht umsonst sichtete er in der Vorbereitung 20 Spieler. Keiner überzeugte ihn. Nur drei Neue stießen zum alten Kader dazu. „Wir haben kein Geld für bessere Leute“, ärgert sich Wassilev. Bertram spricht von „Preiswertlösungen“. Man sollte ihnen allen, den neuen und den alteingesessenen Spielern, ganz schnell das Gesangbuch in die Hand drücken. Damit die Zeilen, in denen vom vollen Rohr und dem brennenden Rasen gesungen wird, nicht zu rhetorischen Fragen verkommen.

MARKUS VÖLKER

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