: Sichtbar gemachte Anspannung
Hinter seinem gekrümmten Rücken lauert Unheil, immer: Das B-Movie zeigt bis Ende August in seiner Steve Buscemi-Retrospektive noch „In the Soup“, „Trees Lounge“ und „Living in Oblivion“ und „Animal Factory“
von JULIAN WEBER
Eines werde er nie verstehen, erklärte der Schauspieler und Regisseur Steve Buscemi einmal in einem Interview: Das Gefühl, am Set drohe jeden Moment alles zusammenzubrechen. Vielleicht ist es gerade die sichtbar gemachte innere Anspannung, die seinen Rollen eine solche Magie verleiht. Auch wenn man ihn vielleicht nicht immer bemerkt hat, aus dem amerikanischen Independent-Cinema der letzten Dekade ist er nicht wegzudenken. Er spielte die Träumer und die Verrückten.
Die meisten werden Buscemi als Mr. Pink in Tarrantinos Reservoir Dogs im Gedächtnis behalten. Auch mit Abel Ferara, den Coen-Brüdern, Jim Jarmusch und Martin Scorsese hat er schon gearbeitet und war seit den Achtzigern in mehr als 60 Spielfilmen zu sehen. Wie sein großes Vorbild John Cassavetes hat er, bisweilen auch in großen Produktionen als Schauspieler mitgewirkt. Bei zwei Filmen führte er selbst Regie. Diese – einer von ihnen Animal Factory, der bisher in Hamburg nur auf dem Filmfest zu sehen war – und eine kleine Auswahl aus dem schauspielerischen Werk zeigt das B-Movie zurzeit in einer sehenswerten Retrospektive.
Selbst für einen Independent-Movie-Star verläuft der Lebensweg von Steve Buscemi untypisch. Geboren in Brooklyn, wächst er in der Arbeitergegend Valley Stream, Long Island auf. Bevor der heute 44-Jährige aber bei Lee Strassberg Schauspielunterricht nimmt, schlägt er sich als Eisfahrer durch und mimt den Stand up Comedian in New York, was, wie man hört, absolutes Humor-Stahlbad ist. Dem Wunsch des Vaters entspechend, ergreift er zunächst einen bürgerlichen Beruf, spielt aber nebenbei auch experimentelles Theater mit der Wooster-Group. Das Geld für die Schauspielschule zahlt Buscemi schließlich aus der Versicherungssumme, die er nach einem Unfall kassiert hat.
Buscemi verfügt über markante, fast comicmäßige Gesichtszüge, und auf der Skala der Grimassen kann er sehr feine Abstimmungen vornehmen. Der Kopf scheint auf den dünnen starren Hals aufgeschraubt, das Gebiss blinkt hinter dicken Lippen wie die Zacken eines Reißverschlusses, während seine Glubschaugen ähnlich groß und verloren blicken, wie die von Peter Lorre – einem der ersten Schauspieler, in dessen Visage sich deutlich die Sorgen und Ängste im kommerziellen Filmbusiness abzeichneten.
Auch ist Steve Buscemi ein Charakter, dessen Äußeres den glamourösen Mindestanforderungen für hochtechnisierte moderne Actionhelden eigentlich nicht entspricht. Schon deshalb ist er wie geschaffen für den Typus des linkischen Kleinkriminellen oder des clownesk verträumten Schwaflers. Dass Buscemis Figuren meistens zum Scheitern verurteilt sind, ist klar. Aber er verleiht diesen Figuren Würde, so dass sie wenigstens nicht kampflos scheitern. Es gibt eigentlich nur eine Konstante, ganz gleich, ob er in eine Film noir-mäßige Schwarz-Weiß-Ästhetik verpflanzt ist oder in der kristallklaren Weite von Joel und Ethan Coens Fargo: hinter dem gekrümmten Rücken von Steve Buscemi lauert Unheil. Immer.
Als seinen wichtigsten Film bezeichnet Buscemi selbst die Rolle des Regieanwärters Adolfo Rollo. In the Soup ist die Geschichte vom bettelarmen Städter, der gerne einen Film wie sein Held Andrej Tarkosvskij drehen möchte. Die Arbeit mit dem alternden Cassavetes-Schauspieler Seymour Cassel lehrten Buscemi die improvisierte Geste und die Dramaturgie des Dialogs. Eigenschaften, die ihm auch bei seinem Regie-Erstling Trees Lounge geholfen haben.
Trees Lounge ist der Name einer Nachbarschaftskneipe, die der arbeitslose Tommy frequentiert. Sein Leben bekommt erst wieder Sinn, als er den Job eines anderen Gasts übernimmt, der überraschend stirbt. Er hätte, erzählte Buscemi einmal, auch in der Trees Lounge enden können: Wäre er nicht nach Manhattan gegangen.
In the Soup: Do, Sa + So, 20.30 Uhr (Sa auch 23 Uhr); Trees Lounge: 15., 17. + 18.8.; Living in Oblivion: 22., 24. + 25.8., Animal Factory: 29. + 31.8., 1.9., Zeiten siehe diese Woche, B-Movie
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