press-schlag: Nur fünf Bundesligaspieler mit makelloser Bilanz
Der Club der Hundertprozentigen
Als Nietzsche 1886 in „Jenseits von Gut und Böse“, die Weltgeschichte durchmusternd, verkündete, der Erfolg sei immer der größte Lügner gewesen, steckte der deutsche Fußball in den Kinderschuhen und war das Vergnügen großbürgerlicher Gymnasiasten. Diese Amateure reinsten Wassers mussten in der Folge mit ansehen, wie das runde Leder von den werktätigen Massen in Beschlag genommen und fortan dem freien Spiel der Kräfte ausgesetzt wurde. Wer aber geglaubt hätte, dass damit auch die Grundsätze der wissenschaftlichen Betriebsführung in die Kampfbahnen zwischen Fürth und Gelsenkirchen eingezogen wären, sah sich getäuscht. Der Zutritt zur fußballerischen Ruhmeshalle wurde weiterhin nach archaischen Kriterien geregelt und blieb so im Kern der Lüge verhaftet. Die Aneinanderreihung von Meistertiteln verschweigt die zweiten Plätze, und in der Torjägerliste ist kein Platz für Fehlschüsse.
Das änderte sich erst, als gegen Ende des letzten Jahrhunderts aus dem amerikanischen Profisport die Statistik in die alteuropäischen Arenen einzog. Fortan gab es kein Vertun mehr. Unbestechlich ermittelte die „ran“-Datenbank, wer die meisten Zweikämpfe gewonnen, die meisten Fehlpässe verschuldet, die meisten Schüsse gehalten, die meisten Ballkontakte verzeichnet hatte. Höfisch anmutende Ideale wie Fairness, Eleganz oder Risikobereitschaft wurden durch Effizienz ersetzt. Spieler wie Effenberg, Ramelow, Tarnat oder Hamann avancierten zu Helden einer Generation, die nichts Besseres verdient hatte.
Vor der Geschichte indes verblassen ihre Taten. Der Königsweg der Effizienz ist und bleibt die Chancenverwertung. Optimal im statistischen Sinne ist sie selten, was den mehrfachen Torschützenkönig Roland Wohlfarth zu der legendären Sentenz bewogen haben mag, zwei Chancen, ein Tor, das nenne er hundertprozentige Chancenverwertung. Natürlich ist es verständlich, dass Wohlfarth angesichts eines Karrieremittels von 0,42 Toren/Spiel Rettung in der Zahlenmystik suchte. 120 Tore in 287 Bundesligaspielen mögen als beachtliche Bilanz durchgehen, von makellosen 100 Prozent trennen sie gleichwohl Welten. Das Ziel einer hundertprozentigen Trefferquote mag ehrgeizig gesteckt sein. Unerreichbar ist es nicht. Der Club der Hundertprozentigen versammelt eine kleine radikale Minderheit zu Unrecht vergessener Ballkünstler, denen gemeinsam ist, zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen zu sein und – wichtiger – diesen pünktlich verlassen zu haben.
Seine Geschichte beginnt am 21. September 1963. Es ist der 5. Spieltag der ersten Bundesliga-Saison, der Karlsruher SC empfängt Borussia Dortmund. Bereits in der 3. Minute gehen die Gäste in Führung, Torschütze ist das neunzehnjährige Eigengewächs Hans-Jürgen Kurrat. Es wird sein einziges Bundesligaspiel bleiben. Er wechselt zu Rot-Weiß Essen und hält sich fortan an beklagenswerten Regionalligaverteidigern schadlos und beschließt seine Karriere beim SV Holzwickede, wo er noch heute zu Hause ist.
Szenenwechsel. 29. Mai 1967. Im fränkischen Langenzenn klingelt das Telefon. Manfred Ebenhöh, seit zehn Tagen 19 Jahre alt, wird als Ersatz für das verletzte Goldköpfchen Franz Brungs in die bayerische Landeshauptstadt beordert. Max Merkel, Trainer des 1. FC Nürnberg, holt den Nachwuchsstürmer persönlich vom Bahnhof ab. Am folgenden Nachmittag verspielt der Titelverteidiger 1860 München die deutsche Meisterschaft. Es ist Manfred Ebenhöh, der in der 60. Minute seines ersten und letzten Bundesligaspiels den Ausgleich markiert. Nach der Saison wechselt er zur verfeindeten SpVgg Fürth in die Regionalliga. Nach weiteren Engagements im heimatlichen Langenzenn sowie im benachbarten Herzogenaurach wechselt Manfred Ebenhöh zu einem weltweit operierenden Hersteller für Nutzfahrzeuge, wo er bis heute als kaufmännischer Angestellter wirkt.
Weitgehendes Dunkel liegt über dem Schicksal der weiteren Mitglieder des Clubs der Hundertprozentigen. Anton Vuckov (FC Bayern), der seinen einzigen Bundesligaeinsatz am 12. 2. 1966 durch das 2:0 im Aufsteigerduell gegen Tasmania Berlin krönte. Auch der weitere Werdegang des Esseners Jürgen Hasebrink (19), der am 32. Spieltag der Saison 1973/74 in der Partie beim VfB Stuttgart nach 61 Minuten eingewechselt wurde und vier Minuten vor Schluss zum 3:0 traf, muss einstweilen ungeklärt bleiben.
Tatsache ist aber, dass mit dem Jahr 1974 die Tradition der Hundertprozentigen schlagartig abbricht. Erst am letzten Spieltag der vergangenen Saison bewies Armin Veh, viel kritisierter Trainer des FC Hansa Rostock, ein historisches Händchen. Auf den Tag genau 28 Jahre nach dem Tor des rätselhaften Jürgen Hasebrink am 4. Mai 1974 im neuerbauten Neckarstadion, kam der Spieler Kevin Hansen in der 70. Minute der Partie bei Bayern München zu seinem ersten Bundesligaeinsatz. Elf Minuten später erzielte der Nachwuchsstürmer das für den Spielausgang bedeutungslose 2:1 und gehört damit zu den fünf effektivsten Spielern der Bundesligageschichte. Möge er diese Chance nicht gedankenlos verschleudern. NIKOLAUS RUGE
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