Der Sommer des Chamäleons

Der taz-Sommerroman. Über den heißesten Fall des unglaublich relaxten Privatdetektivs John Player. Von Tim Ingold. Dritter Teil

Was bisher geschah: Ilse vermisst ihr Chamäleon +++ John Player soll es wiederfinden +++ der psychologische Ratgeber „Wie Chamäleons denken“ taugt nix +++ Kommissar Zufall erzählt zufällig von der eher zufälligen Verhaftung eines Chamäleondiebs +++ historische Hitzewelle dauert an +++ nur John Player kommt nicht ins Schwitzen.

Ich hätte mich gerne in den Büschen versteckt und dem unsäglich arroganten Zufall beim Fluchen über seine platten Autoreifen zugesehen, aber es gab nun Wichtigeres zu tun. Mein batteriebetriebener Ventilator hatte bei meinem Bad im Ententeich Schaden genommen und musste durch einen neuen ersetzt werden. Außerdem wurmte mich eine bohrende Frage: Hatte Ilse meinen Rat in den Wind geschlagen, hatte sie hinter meinem Rücken die nur an ihren besseren Tagen halbkompetente Polizei informiert, die daraufhin tatsächlich – wie durch Zufall – den Chamäleondieb verhaften konnte? Hatte sie mein Vertrauen so schmählich missbraucht und mich so schändlich hintergangen?

Es gab nur einen Weg, das herauszufinden: Ich musste sie anrufen. Meine Telefonkarte war fast alle, also beschloss ich, dass ich mich kurz fassen würde. Es tutete. „Ja, hallo, Ilse am Apparat?“ –„Hier ist John Player. Hören Sie ...“ – „Oh, Herr Player, ich meine John, haben Sie bereits eine Spur?“ – „Ja. Hören Sie zu ...“ – „Das ist ja phantastisch! Wird es noch lange dauern? Die Spur ist doch hoffentlich gut? Ich vermisse meinen ...“ – „Ilse!! Ich habe beschlossen, mich kurz zu fassen, weil meine Telefonkarte gleich alle sein wird! Unterbrechen Sie mich nicht dauernd!“ – „Entschuldigung.“ – „Haben Sie entgegen meinem Rat ... ich meine, entgegen meines Rates ... äh ... entgegen meinem Abraten ... Sapperlott!! Haben Sie die Polizei eingeschaltet?“ – „Nein.“ – „Sehr gut.“ Erleichtert hängte ich ein. Das war also geklärt.

Ich ging nach Hause und kochte mir eine Hühnersuppe. Die brauchte ich jetzt zum Nachdenken. Alle schlauen Männer der Weltgeschichte waren begeisterte Hühnersuppenfans. Bei Frauen scheint sie nicht zu wirken. Die schlauen Frauen der Weltgeschichte aßen vermutlich etwas anderes. Möglicherweise Kirschkuchen.

Schließlich hält sich hartnäckig das Gericht, äh, Gerücht, dass Marie Curie statt Radium zu entdecken eigentlich Hühnersuppe kochen wollte und so zufällig auf das radioaktive Element gestoßen sei. Aber das stimmt nicht. Sie wollte Kirschkuchen backen. Man stelle sich die peinliche Situation vor: „Ah, Pierre, isch wollte eigentlisch Kirschküchen backen, und nun isch habe ’ier diese komische Radiüm ... pardon, mon cherie, rien ne va plus mit Kirschküchen.“

Was die Männer angeht: von Plotinus ist überliefert, dass er täglich einen Bottich Hühnersuppe zu sich nahm, gleiches gilt für Descartes, Kant und Schelling. Auch Einstein soll ein gefürchteter Hühnersuppenvertilger gewesen sein. Da befindet er sich in guter Gesellschaft mit Popper und Habermas. Geistige Tiefflieger wie Bataille, Stanley Fish, Richard Rorty und Jürgen W. Möllemann mampfen hingegen Schnitzel mit Kroketten oder sowas.

Die Hühnersuppe wirkte. Mein Hirn lief auf Hochtouren. Im städtischen Gefängnis saß also derzeit ein Chamäleondieb in Untersuchungshaft. Hatte er sich Rama unter den schmutzigen Fingernagel gerissen? Und wenn ja, wo befand sich die Beute? War sie gut versorgt oder würde sie in wenigen Tagen eines grausamen Hungertodes sterben? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden: Ich würde dem Burschen einen Besuch in seiner Zelle abstatten müssen und ihn zum Plaudern bringen. Aus den abfälligen Ausführungen von Kommissar Zufall schloss ich, dass der Chamäleondieb ein eher einfaches Gemüt besaß. Einfaches Gemüt ist gar kein Ausdruck. Er hätte vermutlich gegen einen präpubertären Schimpansen haushoch beim Scrabble verloren. Aber wie bringt man einen solchen tumben Gesellen und Schnitzelfresser zum Reden?

Nach wenigen Sekunden hatte mein hühnersuppengedopter Neokortex eine Liste der benötigten Gegenstände ausgespuckt: eine Zwille, ein präpariertes Bettlaken und eine Keksdose mit Kokosmakronen. Nun brauchte ich nur noch zu wissen, in welcher Zelle der Gauner einsaß. Glücklicherweise kannte ich eine Dame in der Gefängnisverwaltung, die mir sehr wohlgesonnen war: Irmhild (Name geändert, Anm. d. Red.). Mit einem Schmunzeln erinnerte ich mich an unsere letzte gemeinsam verbrachte Nacht. Ein kurzer Anruf bei ihr würde genügen. Zunächst brauchte ich aber noch einen Teller Hühnersuppe.

Montag lesen Sie, wie es John Player ins Gefängnis schafft.