zwischen den rillen
: Agitbritpop mit Primal Scream und Boy George

Engelchen und Teufelchen

Ein Engel und ein Teufel sitzen bei Bobby Gillespie auf der Schulter. Der eine sagt ihm: Engagier dich gegen die Misere im Land! Halt zu den Palästinensern! Und schreib doch bitte einen Song, in dem der 11. September mehr ist als nur ein Stichwort für die uneingeschränkte Solidarität mit den USA! Das gefällt Gillespie, da fühlt er sich wie der Punk aus den 80er-Jahren, der er als Schlagzeuger bei The Jesus & Mary Chain ja mal war.

Aber dann flüstert die andere Stimme ihm zu, dass er am Erfolg seiner jetzigen Band arbeiten und endlich große Hits schreiben soll. Schließlich gibt es Primal Scream 18 Jahre, die musikalische Experience reicht von gut zugedrogter Raveolution bis zu Bikertechno auf Acid, da darf schon mal die Kasse stimmen. Diese Sicht findet Gillespie auch völlig okay. Deshalb hat er mit Kate Moss vor ein paar Monaten die Schmachtnummer „Some Velvet Morning“ aufgenommen, die für Lee Hazelwood und Nancy Sinatra ein Hit war in den Sixties.

Das Problem von Gillespie ist, dass er nicht weiß, wer von den beiden nun Teufel ist und wer der Engel. Beides zusammen geht nicht bei einer Band wie Primal Scream, das hat er in den letzten zwei Jahren mit Politpopsongs wie „Swastika Eyes“ oder „Exterminator“ als britische Variante des No-Globo-Groove ausprobiert. Die Folgen waren verheerend: Die Leute hielten ihn für komplett übergeschnappt, selbst Creation-Labelchef Alan McGhee wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben, als Bobby auf Speed 24 Stunden am Tag einen einzigen Akkord auf seiner Gitarre heruntergehackt hat.

Insofern ist „Evil Heat“, das neue Album, ein erster Schritt hin zur Besserung. Statt die Widersprüche auf die Spitze zu treiben, bis es in den Ohren klirrt, ist die Musik zum Nebeneinander von lederhosenem Verstärkerlärm a la MC 5 und nachtlebentauglicher Elektronik geworden. Stücke wie „Autobahn 66“, „Rise“ oder „Miss Lucifer“ legen monotone Beatbox-Rhythmen aus, während Gillespie stöhnt, Sex-Pistols-haft nörgelt und von seiner Lust an der Ausschweifung singt, die doch die politischen Verhältnisse in UK meint. Früher hätte man das Ergebnis mit Hochachtung als Anarchie-Sound aus den Suburbs bezeichnet, heute reicht es zumindest für den irritierenden Kick auf Partys im innerstädtischen Bereich – lass es rocken, bevor der Nachtbus kommt. Das Chaos im Kopf von Bobby Gillespie wird zwar durch die Dancefloor-Politur, die ihm Produzenten wie Andrew Weatherall verpasst haben, bestimmt nicht kleiner. Aber jede seiner Kick-Ass-Eskapaden ist besser als eine Existenz als Drogenwrack, die der NME schon vor einem Jahr herbeigeschrieben hatte.

Auch Boy George hadert ständig mit seinem Status. Als schwule Popikone hat er in England einiges gegen den homofeindlichen Clause-28 in Bewegung gebracht. Der Tribute to gay heroes ändert jedoch nichts daran, dass Boy Georges künstlerischer Stellenwert oft bloß noch für Lifestyle-Seiten taugt, in einer Reihe mit Liz Taylor und Elton John. Ob er je wieder der „boy you love to hate“ wird, wie ihn die Yellow Press in den 80ern nannte?

Die 15 Lieder auf „U can never b 2 straight“ sind eine Art Wiedergutmachung an dieser Vergangenheit. Das Album gehört zu einem umfangreichen Erinnerungsprojekt: Vor einem halben Jahr hat Boy George im Londoner Soho-Viertel sein Musical „Taboo“ gestartet, das als Hommage an die Crossdresser, Transen und New Romantics gedacht war, zu denen der pummelige Junge aus einem Kaff namens Woolwich selbst früher gehörte. Seitdem steht er, wann immer er kann, höchstpersönlich auf der Bühne – als Leigh Bowery, das fettgepolsterte Modell von Lucian Freud, das Latex-Moden in die Kunstgalerien brachte und Anfang der 90er an einer Aids-Erkrankung starb.

Gleich im Intro seiner neuen CD singt er denn auch Bowery zu Ehren „Ich bin Kunst“. Es klingt schwer nach dem Conferencier aus „Cabaret“ und hat so gar nichts mit dem DJ-Dasein gemein, für das Boy George die letzten Jahre im Ministry of Sound oder auf Ibiza unterwegs war. Nach Culture Club, Heroin-Chic und House-Musik scheinen die meist nur von einer Gitarre begleiteten Confessions ein weiterer Imagewechsel zu sein: unplugged, so will es der Chanson. Gospel, Folk, altmodische Schweineorgeln zu Bluesgebeten a la Van Morrison und dann wieder ganz junger Bowie.

Dass Boy George es trotzdem mit dem Andenken ernst meint, merkt man an den Widmungen. Jedes Lied ist eine Moritat auf verlorene Beziehungen, immer geht es ums Verlassenwerden, weil die Gesellschaft nicht zulassen mochte, das Männer Männer lieben. Vermutlich weiß Boy George, wie nah seine Song-Memoiren am Kitsch gebaut sind. Aber eins weiß er auch: Den Hit, den hatte er ja schon. HARALD FRICKE

Primal Scream: „Evil Heat“ (Sony)Boy George: „U can never b 2 straight“ (Virgin)