: Toskanafeeling hinterm Deich
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, zumindest nicht mit Lehmziegeln. Die eignen sich wesentlich besser dazu, sie ordentlich aufzuschichten. Das verblüffende Ergebnis: Ein Baukonzept, das sich langsam aber sicher ausbreitet
„Es gibt kein schlechtes Wetter, nur unpassende Kleidung!“ Dieses trotzige, vor allem im Nordwesten verbreitete Credo auf Friesennerz oder Gore-tex lässt sich auch auf die dritte „Haut“ des Menschen beziehen: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Baukonzepte!
Die Bestätigung dafür liefert Frank Hansen. Der 52-jährige Ingenieur gehört zum “Planungsbüro Glashaus“ mit Sitz in Dorum. Das Büro heißt nicht nur so, es logiert in einem ebensolchen – selbst entworfen, versteht sich. Rund zehn Jahre gibt es das Dorumer Glashaus schon.
Wie ein genialistischer Architektenwurf sieht es nicht gerade aus. Das Glashaus kommt sogar recht unspektakulär daher: Erst mal steht da ein ganz normales, industriell vorgefertigtes zweischiffiges Gewächshaus: 37 Meter lang, 19 Meter breit und mit drei Metern Traufhöhe.
Der eigentliche Clou steckt unter der Glashülle: Die Planer haben in das Glashaus ein zweites Haus hinein gestellt. Das muss dort keinen Witterungsschutz mehr leisten. Statt dessen ist für das Innenhaus vor allem, wichtig, dass sein Baumaterial gut Wärme speichern kann, um diese später wieder abzustrahlen. „Idealer Baustoff dafür ist Lehm“ , sagt Ingenieur Hansen.
Durch das Haus-im-Haus-Prinzip einsteht auch in der äußeren Hülle ein angenehmes Raumklima – mit dem in anderen Gewächshäusern nicht zu vergleichen. Das Zusammenspiel Lehm in Glas sorgt für den Wohlfühl-Effekt: Im Sommer ist es nicht zu schwül, und selbst im Winter kann man oft noch draußen sitzen. „Übers Jahr gerechnet haben wir hier ein Klima wie in der Toskana“, sagt Hansen, der sich zusammen mit Freunden und Kollegen vor mehr als zehn Jahren zu diesem Bauprinzip durch die Gruppe LOG ID anregen ließ. Deren eigenes Versuchshaus ist das Dorumer, das Platz für das Planungsbüro und zwei Wohnungen bietet.
„Hier zu leben und zu arbeiten bedeutet für uns Lebensqualität“, sagt auch Barbara Mohrmann. Die Sonderschullehrerin gehört mit zur ursprünglichen Glashaus-Gruppe und lebt in einer der Wohnungen. Das Leben spielt sich hier vor allem in der äußeren Hülle des Hauses ab: Sie beherbergt eine Regenwasserzisterne, einen Springbrunnen und mediterrane Gehölze. An dem großen Tisch hocken die Glashaus-Leute hier gern zusammen.
Zugegeben, das von Hansen propagierte Prinzip ist weder neu noch auf den Wohnungsbau beschränkt. Er selbst verweist auf Beispiele wie die Bürobauten aus dem Architekturbüro Bothe/Richter/Teherani oder auf das vergleichbar geartete „Eden Project“ in Südengland, wo unter riesigen Glaskuppeln unterschiedliche Klimazonen als großer Erlebnispark inszeniert sind. Auch der Guru des Leichtbaus, Buckminster Fuller, schlug schon in den Sechzigerjahren vor, ganz Midtown Manhattan transparent zu überkuppeln.
Im Land Wursten, nördlich von Bremerhaven, ist das Konzept aber noch avantgardistisch. Die üblichen Wohngewohnheiten sind recht festgelegt und verhindern die größere Verbreitung einer solchen Wohnform, die übrigens keineswegs teurer sein muss als ein Normalhaus. Hansen: „In Süddeutschland tut sich da schon mehr.“
Eine Ausnahme vom Einheitswohnen bildet das Ehepaar Riebe aus Wremen. Die beiden haben sich 1996 für den Bau eines Glashauses nach Dorumer Plänen entschieden. Seitdem leben sie auf einer Work-in-Progress-Baustelle – und sind über die Realisierung ihrer Wohnträume glücklich. Demnächst wird die aus einem Altbau stammende Spindeltreppe montiert. Bis dahin steigen die Riebes über eine Leiter ins Obergeschoss. Die beiden lassen sich Zeit auch für immer neue Ideen. Ihr Herd etwa steht unterm Glasdach. Und wie klappt es mit den Nachbarn in den verklinkerten Walmdachbungalows? Regina Riebe erzählt: „Ein bisschen schwierig ist es bei unserm Haus schon, den hier üblichen Glasputzstandard hinzubekommen: Aber damit können wir leben.“
Eberhard Syring
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