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„Wenn du lächelst, ist es gut“

To Copy or not to copy: Vier Bootleg-DJs aus London über ihren Spaß am Bastard-Pop und den Snobismus in der DJ-Szene, den Reiz von Missy-Elliot-Samples sowie das Recht am eigenen Klang

Interview VOLKER HUMMEL und LARS BULNHEIM

taz: Um was geht es euch beim Bootlegging eigentlich?

Osymyso: Beim Bootlegging geht es um den Wiedererkennungswert von Popmusik: Keiner soll ausgeschlossen werden. Jeder kennt Rick Astley.

Jonny: Genau. Man hört diesen Song von Kylie und Britney, den alle kennen, und dann haut der zweite Track da rein, und alle fragen sich: „Was zum Teufel haben die damit gemacht?“. Dieser Effekt spielt eine große Rolle.

Also geht es um den Gag?

Osymyso: Es geht darum, lustig zu sein, ohne albern zu wirken. Es muss glaubhaft sein. Das ist ein Spiel, das man beherrschen muss. Ich persönlich würde gerne mehr gefordert werden von manchen Gags. Das geht zur Zeit ein bisschen unter in den Hunderten von Bootleg-Tracks, die jeden Tag als MP3s ins Netz gestellt werden.

Mike: Viele Bootlegs entstehen als musikalisches Äquivalent zu einem Wortspiel. Oder es bieten sich auch Rivalitäten zwischen Musikern an, so wie bei Christina Aguilera und Eminen.

Als ich letzte Nacht Destiny’s Child über „Ghost Town“ von den Specials legte, wurde mir plötzlich etwas klar. Wenn man bedenkt, wofür die Specials und der Song standen, der Rassismus und die Kämpfe damals, und dann hört man plötzlich den Gesang dieser drei schwarzen Sängerinnen darüber, das ist ein unheimlicher Moment. Das ist verrückt, gleichzeitig diese Ska-Platte von 1979 und drei Mädchen aus Baltimore zu hören. Mir gefällt diese Seite des Bootlegging.

Geht es auch darum, Raritäten auszugraben und mit den Filetstückchen zu glänzen?

Osymyso: Nein, mit dieser elitären Haltung haben wir nichts am Hut. Labels wie Mo’Wax und Ninja Tunes bedienen sich beim Sampeln einer sehr exklusiven und begrenzten Auswahl von Platten, aus einer ganz bestimmten Periode und von akzeptierten Musikern. Beim Bootlegging ist hingegen alles erlaubt!

Mike: In England gibt es ein massives Problem mit dem Snobismus der DJ-Szene. Wenn man dazugehören will, muss man ganz bestimmte Sachen spielen und andere sind absolut tabu: Es ist einfach grauenhaft.

Osymyso: Und es geht auch nicht darum, im Club cool in der Ecke herumzustehen, sich das Geschehen aus der Distanz anzusehen und die feinen Nuancen der Musik zu goutieren. Es geht darum, einen Hit nach dem anderen rauszuhauen und gute Laune zu verbreiten.

Mike: In unserem Club lächeln die Leute deshalb auch mehr als in anderen Dancehalls.

Wie wählt ihr die Tracks aus, die ihr kombiniert?

Freelance Hellraiser: Man spielt einfach ein bisschen rum und probiert verschiedene Sachen aus. Wenn es dich zum Lächeln bringt, dann funktioniert es. Dann nimmt man es am Abend mit zum Set.

Osymyso: Das ist die beste Methode rauszufinden, ob ein Track funktioniert. Man mixt ihn zu Hause am Computer und probiert ihn abends im Club aus.

Spielen DJ-Techniken da noch eine Rolle?

Osymyso: Ich glaube, ich bin insofern versiert, als dass ich ein gutes Gehör bessitze. Und ich kann auch alles, was ein House-DJ macht. Aber ich bin kein Scratch-DJ wie Kid Koala: Das ist sehr harte Arbeit, die mich nicht sonderlich interessiert. Mich interessiert die Heimarbeit am Computer. Wichtig ist nachher das, was aus den Lautsprechern kommt. Ich will keine Laserspots um mich herum.

Gibt es eine Vorliebe für Musiker wie Missy Elliott, die Strokes oder Eminem, die besonders häufig gesampelt werden?

Mike: Bei Missy Elliott hat es etwas damit zu tun, dass sie viele Instrumentals und A-cappella-Stücke veröffentlicht.

Bekommt ihr auch Reaktionen von Musikern, die ihr sampelt? Hat sich schon ein Popstar bei euch beschwert?

Freelance Hellraiser: Mein Bruder hat das tatsächlich mal ein Mitglied der Strokes gefragt, was er denn von „A Stroke of Genie-us“ halte. Das war auf einer Party, wo ich die Platten auflegte. Und er fand es, na ja, irgendwie nicht so gut. Vielleicht haben die Strokes das Gefühl, dass ich ihr Lebenswerk verschandelt habe, indem ich Julien Casablancas Stimme durch die von Christina Aguilera ersetzt habe.

Die Rechte am Material, das ihr benutzt, gehören euch nicht. Wie steht ihr zum Copyright?

Osymyso: Ich bin absolut dafür! Wenn ich ein eigenes Musikstück produziere und es läuft im Fernsehen, dann will ich dafür, verdammt noch mal, auch bezahlt werden. Wenn sich jemand einen Teil meiner Musik klaut und daran Geld verdient, dann will ich einen Anteil. Wenn er hingegen damit nur ein bisschen herumspielt und selbst nichts verdient, dann hab ich damit kein Problem. Aber ich bin überzeugt davon, dass einem als Musiker Einkünfte zustehen.

Zurzeit denken die meisten, dass Musik etwas Freies und Kostenloses ist. Man kann sie umsonst aus dem Web runterladen, man kann sie seinen Freunden auf CD brennen. Aber sie ist nicht frei, sie ist die Existenzgrundlage vieler Menschen. Trotzdem sind mir die derzeitigen Copyright-Gesetze etwas zu industriefreundlich. Es muss ein vernünftiges Mittelmaß gefunden werden. Es sollte einem erlaubt sein, Materialien zu sampeln, damit herumzuspielen. Erst wenn man das Material kommerziell nutzt und eine bestimmte Einkunftsgrenze übersteigt, sollte man dafür zahlen müssen.

Große Stars dürften kaum nennenswerte Einnahmebußen erleiden. Wie sieht es aber mit Musikern aus, bei denen 500 verkaufte Kopien mehr oder weniger alles bedeuten?

Osymyso: Wenn Madonna eine neue Platte rausbringt, dann sorgt ihre Firma dafür, dass die gesamte Welt davon erfährt. Sie bringt sie in jeden Radiosender, jeden Plattenladen, ins Fernsehen. Man kann Madonna nicht entgehen.

Als Künstler, der innerhalb dieser Kultur arbeitet, reflektiert man, was um einen herum vorgeht. Meine Kunst reflektiert meine Umgebung, und das ist vor allem Popmusik. Deshalb nehme ich sie mir. Aber ich mache damit so gut wie gar kein Geld, was soll daran also falsch sein? Es ist dasselbe, was Andy Warhol gemacht hat. Das war visuelles Sampling.

Mike: Es gibt eine Menge Leute, die damit viel Geld machen. Man muss sich nur mal das Kleingedruckte auf der neuen Fatboy-Slim-LP angucken: All die Leute, die sich wahrscheinlich eine goldene Nase daran verdienen, dass sie gesampelt wurden.

Oysmyso: Genau das meine ich: Wenn man so viel verdient wie Fatboy Slim, dann zahlt man den Leuten einen angemessenen Anteil. Aber unterhalb dieses Levels sollte man nichts zahlen müssen, denn Kunst hat schon immer Kunst reflektiert.

Freelance Hellraiser: Trotzdem passiert es. Auf der ersten Platte von Fatboy Slim waren bei keinem einzigen Sample die Rechte geklärt. Das geschah erst, als er erfolgreich wurde und Anwälte hatte.

Osymoso: Kein Musiker kommt ohne all die anderen aus. Die Majors leben von den Impulsen des Underground, und der Underground bedient sich bei ihnen. Aber erlaubt ist der Austausch nur in eine Richtung. U 2 sind ein Paradebeispiel dafür. Die klauen doch, wo es nur geht! Bei ihrer Zooropa-Tour in den frühen Neunzigern bedienten sie sich fleißig bei Videokünstlern. Sie heimsten das ganze Lob dafür ein, und der von ihnen beschäftigte Künstler kriegte nur ein paar hundert Dollar. Wenn man den Spieß umdreht, hat man gleich Horden von Anwälten im Nacken.

Bootleg-Pressungen sind illegal. Wer bringt sie raus?

Osymyso: Sie sind illegal, aber die Musikindustrie unternimmt nichts dagegen. Sie kennen diese Platten, Radio 1 spielt unsere Songs, aber sie wissen, dass es den nötigen Aufwand nicht wert ist.

Gab es auch schon Angebote der Musikindustrie zur Zusammenarbeit?

Freelance Hellraiser: Ja. Bei mir haben sich Bands mit schwer wiegenden Image-Problemen gemeldet, die von mir so eine Art Frischzellenkur für ihre Karriere wollten. Die stellen sich das so vor: Ich mache ein Bootleg ihres Songs, der dann ein bisschen im Underground kursiert. Schließlich „entdeckt“ die Band das Stück, und es gefällt ihr natürlich gut. Dann bringen wir den Song schließlich auf legale Weise auf den Markt. Das ist absolut zum Kotzen. Und sie sagten tatsächlich, dass sie mir dafür ein paar hundert Pfund geben würden. Fuck off!

Die anarchische Bootleg-Szene erinnert an den Beginn des Punk, als jeder, der drei Akkorde beherrschte, eine Band gründete …

Mike: Ja, das ist etwas Neues in der Geschichte der elektronischen Tanzmusik: Jetzt kann sie einfach jeder machen.

Osymyso: Das ist genau die Herangehensweise, die heute viele Leute haben. Wenn man Mitte der Neunzigerjahre in die Dance-Music-Szene einsteigen wollte, ging es immer um Plattenverträge und das große Geld.

Das hat sich mit der Bootleg-Szene verändert. Genau wie beim Punk kommt heute die Musik vor dem Geld. Wir verdienen nichts an „King of the Boots“. Es geht wirklich nur um die Musik. Wenn du Geld mit Musik verdienen willst, dann musst du Werbemusik machen. Mit dem Bootleg-Ding verdient man nichts.

Freelance Hellraiser: Für mich ist das Ganze eine Plattform, um neue Sachen auszuprobieren und bekannt zu werden. Mit Bootlegging haben heute schon 16-jährige Kids die Möglichkeit, ins Radio zu kommen und bekannt zu werden.

Seht ihr darin auch einen demokratischen Aspekt?

Osymyso: Ja, definitiv. Aber das ist grundsätzlich bei Musik so. Jeder kann auch Gitarre lernen, seine Freunde zusammentrommeln und eine Indie-Band gründen. Jeder kann ein Künstler sein.

Mike: Alles, was bei uns gespielt wird, kann man sich noch in derselben Nacht zu Hause aus dem Internet runterladen.

Osymyso: Im Unterschied zu früher hat das Internet jedoch die Lebensdauer neuer Stile und Szenen erheblich verkürzt. Bootlegging ist gerade mal ein Jahr alt und ist schon wieder auf dem absteigenden Ast. Weiter kann man damit nicht gehen. Es wird langweilig. Es ist schon ein Klischee geworden, ich kann es nicht mehr hören. Innerhalb kürzester Zeit ist es zu einem Hype geworden, über den jedes Musikmagazin in England berichtet hat.

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