Dionysische Boten

Soft Cell gaben einen Vorgeschmack auf kommende Club-Ekstasen, nicht nur mit ihrer Musik. Zum Elektro-Revival kehren sie nun als Klassiker zurück

von TILMAN BAUMGÄRTEL

Es gibt wohl kein anderes SynthieRiff, an dem man sofort das ganzes Stück erkennt. Einmal „Ta-da-ta“, gefolgt von kurzem synthetischen Geklapper, und man weiß: Das ist „Tainted Love“ von Soft Cell. Die elektronifizierte Version eines Soul-Klassikers aus den 60ern katapultierte das Duo 1981 in die Charts und auf die Cover von Pop-Magazinen wie Smash Hits oder Bravo – sehr zur Überraschung von Keyboarder Dave Ball und Sänger Marc Almond, die sich eher als düstere Underground-Band mit Hang zu Drogen, Sexorgien und anderen Ausschweifungen sahen denn als saubere Teenie-Idole.

In den folgenden Jahren taten sie denn auch alles, um ihre überraschende Karriere so schnell zu beenden, wie sie begonnen hatte. 1984 lösten sich Soft Cell sang- und klanglos auf.

Ihr Mythos aber blieb, und Marc Almond hielt ihn mit seiner Solokarriere, die immer wieder durch Aufenthalte in Entzugskliniken unterbrochen wurde, am Leben: Neben seiner geschwätzigen Autobiografie „Tainted Life“ sind in England noch vier weitere Bücher erschienen über den Popstar, der eigentlich kein Popstar sein wollte.

Doch Soft Cell waren nicht nur eine der ersten Gruppen, die Anfang der 80er mit komplett elektronisch produzierter Musik in die Charts kamen. Sie machten auch Schluss mit dem antiseptischen, sauberen Sound, den Synthesizerpioniere wie Kraftwerk kultiviert hatten. Die Songs von Soft Cell, 1978 von den beiden Kunststudenten Ball und Almond am Polytechnikum in Leeds gegründet, waren betont rau, schmutzig und hörbar von der New Yorker Elektropunk-Band Suicide beeinflusst.

Durch ihr Auftreten betonten sie zwar, dass ihre Musik mit Maschinen produziert wurde: bei Konzerten performten sie niemals mit Band, und auf ihren frühen PR-Fotos zeigten sie sich nur mit ihrem Korg-Synthesizer und dem Revox-Tonbandgerät, von dem bei Live-Gigs die Perkussion und die Bassläufe kamen. Trotzdem waren ihre Songs keine Oden an die Technik oder Science-Fiction-Arien wie bei anderen Elektro-Kollegen wie etwa Kraftwerk, sondern handelten von Marc Almonds Lieblingsthemen: gescheiterte Beziehungen, Depressionen, Niedergang, Entfremdung, Drogen, Suff, Tod.

Dazu gerierten sich die beiden Musiker wie zwei schwule Ledermänner, obwohl Ball heterosexuell war und Marc Almond die britische Schwulenszene dadurch verärgerte, dass er sich standhaft weigerte, in der Öffentlichkeit zu seiner Homosexualität zu stehen. Vielleicht ist der Mythos Soft Cell gerade durch ihr etwas klemmiges Spiel mit solchen Ambivalenzen befördert worden.

Weniger bekannt ist die Rolle, welche Soft Cell bei der Einführung von Ecstasy in Großbritannien spielten: Almond und Ball hatten die Droge 1982 in New York kennen gelernt. In den USA war Ecstasy damals noch nicht illegal und wurde von manchen Psychotherapeuten sogar als Stimmungsaufheller verschrieben. Marc Almond schätzt in seiner Autobiografie, dass er in seinem ganzen Leben mehr als eine Viertelmillion Pfund für Ecstasy, das ihm über seine Depressionen half, ausgegeben hat und auch seinen Freundeskreis großzügig mit Pillen versorgt hat.

So kam Ecstasy zum ersten Mal in Londoner Musikerkreise, wo es einige Jahre später zur wichtigsten Umwälzung in der Popmusik seit den 60ern führen sollte: Ohne Ecstasy hätte es Lebensgefühl und Tanzbegeisterung, die zur Durchsetzung von House und Techno auf europäischen Tanzflächen führen sollte, nicht gegeben. Auf der zweiten Platte von Soft Cell, die Almond selbst „unsere Ecstasy-Platte“ nennt, sind Vorläufer der Musik zu hören, die fünf Jahre später ihren Siegeszug antreten sollte.

„Non-Stop Exotic Dancing“ ist wie ein durchgehender Track zusammengemixt, bei einigen Stücken rappt eine „Cindy Ecstasy“, die New Yorker Dealerin von Soft Cell, mit. Der Höhepunkt von „Non-Stop Exotic Dancing“ ist das monotone „Memorabilia“. Der Track war bereits ein Clubhit, als Dave Ball sich den Track für das Remix-Album noch einmal vornahm, ihn auf neun Minuten ausdehnte und Marc Almonds hysterischen Stream of Consciousness über Andenken an einen Liebhaber durch den Wolf nachträglicher elektronischer Verfremdung zog.

Marc Almond nennt „Memorabilia“ das „erste Technostück“, worüber man sich streiten kann. Unbestritten ist aber, dass der Track eine wahre Gemme in der Entwicklung einer elektronischen, auf Loops basierenden Tanzmusik darstellt: Der Bass dröhnt daher wie ein Nebelhorn, im Hintergrund quietschen Sounds, die schon verdächtig nach Acid klingen, und Marc Almond klagt sich durch ein akustisches Drama von Opernformat.

„Memorabilia“ braucht den Vergleich mit frühen, hysterischen House-Klassikern wie „Move Your Body“, „On and On“ oder „Love Can’t Turn Around“ nicht zu scheuen. Wenn das Comeback, an dem Soft Cell derzeit arbeiten, auch keinen weiteren Zweck hat, so führt es vielleicht dazu, dass dieses Meisterwerk mal wieder in einem Club mit guter, lauter Anlage zur Aufführung kommt.

Soft Cell beim Popkomm-Eröffnungskonzert im E-Werk: Do., 15. 8., 21 Uhr