: „Spanisches Kolorit“
Roma-Klage gegen Riefenstahl wegen Zwangsarbeitern am Set. Ein Buch im Hamburger Europa Verlag geht den Mitteln der „Scheinwerferin“ nach
von ANDREAS SPEIT
Den Originalcut von Tiefland zeigte die Regisseurin Leni Riefenstahl bei der Uraufführung nicht. Die Grand Dame des Schnitts und des Lichts hatte für die Premiere am 11. Februar 1954 vorsichtshalber die Passagen mit den Häftlingen aus den NS-Lagern Maxglan bei Salzburg und Marzahn vor Berlin entfernt. Über 100 Sinti und Roma wurden gezwungen, während der Filmproduktion von 1940/41 bei Krümm und Berlin als „authentische“ Komparsen in dem schlichten Berghirtendrama, nach der gleichnamigen Oper von Eugen d‘Albert, zu dienen. „Um das spanische Kolorit zu verstärken“, wie Riefenstahl in ihren Memoiren schreibt.
Wenn Riefenstahl die Zwangsarbeiter nicht für die Dreharbeiten brauchte, wurden sie am Set eingesperrt. Nachdem die letzte Klappe gefallen war, kamen die „Filmsklaven“ (Ulrich Enzensberger) wieder in die Lager, von denen sie später nach Auschwitz deportiert wurden. Das Schicksal ihrer „Lieblinge“ interessierte Riefenstahl nur so lange, wie sie vor ihrer Kamera standen.
Nun muss sich Riefenstahl, die vor allem mit ihren idealisierenden Filmen über die NSDAP und deren Olympische Spiele, dem Dritten Reich den „schönen Schein“ (Achim Reichel) gab, mit den vergessenen Opfern des von ihr geliebten Führers und Regimes auseinander setzen. Während in den letzten Wochen ein Chor von Laudatoren anlässlich ihres hundertsten Geburtstags am 22. August 2002, in zahlreichen Artikel und Reportagen die Kreativität ihrer Filme und die Faszination ihrer Fotografien würdigten, beschuldigt die Rom e.V. die Jubilarin, das Andenken an die ermordeten Holocaust-Opfer zu beschädigen.
61 Jahre nach der Produktion kündigt der Kölner Verein „juristische Schritte“ gegen die Regisseurin an, die zugleich auch Produzentin und Hauptdarstellerin von Tiefland war. Am 16. August will der Verein, unterstützt von dem Rom e.V.-Vorstandsmitglied und Journalisten Günter Wallraf und dem Publizisten Ralph Giordano bei einer Pressekonferenz neue Fakten darlegen, damit „den Betroffenen und ihren Angehörigen Gerechtigkeit widerfährt“.
Nicht der erste Prozess wegen dieses Films, wie Lutz Kinkel in dem gerade erschienen Buch Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das „Dritte Reich“ berichtet. Denn Ende der 40er Jahre klagte die Filmemacherin gegen die Revue und bestritt, „jemals Reichsmittel“ für Tiefland erhalten zu haben oder gar über das Schicksal der Sinti und Roma informiert gewesen zu sein. Mit Erfolg: Die Münchener Amtsrichter sahen es als nicht erwiesen an, dass Riefenstahl die Komparsen schlecht behandelte und von ihrer Vernichtung gewusst hätte.
Anfang der 80er Jahre führte Riefenstahl erneut einen Prozess, in dem es ihr aber nicht gelang abzustreiten, dass sie die Sinti und Roma zwangsverpflichtet und nicht entlohnt hatte.
Trotz des Cuts floppte der Film seinerzeit. Vielleicht relativiert eine Debatte um den Film die Laudation, in der die „Scheinwerferin“ des Dritten Reichs ohne den Schatten ihrer Vergangenheit erscheint – so wie sie sich schon selbst am 23.6.1939 bei einem Besuch in Hollywood gegen Kritik immunisierte: „Ich habe niemals eine offizielle Position in Deutschland gehabt. Ich bin eine freie Künstlerin.“ Der Film, so zeigt Kinkel in seinem lesenswerten Buch, wäre ohne Adolf Hitlers Protektion und ohne NSDAP Finanzierung nicht zustande gekommen.
Lutz Kinkel, Die Scheinwerferin – Leni Riefenstahl und das „Dritte Reich“, Europa Verlag, Hamburg 2002, 380 S., 26,90 Euro
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