: Allein gegen die Birke
Der überschätzteste, ja hassenswerteste Baum der Welt muss beschimpft werden
Die Birke steht ausgesprochen gern herum. Sie ist ein jeden sich bietenden Flecken Erde besiedelndes Gewächs, ein erschreckend wahlloses, ja kriterienloses Miststück, das keine Scham kennt und sich selbst in den ohnehin schon abstoßendsten Gefilden freiheraus hinpflanzt, in Heidelandschaften, Wohnanlagen, Panzerübungsplätzen und Finnland. Die Birke schießt, ohne nur einen Funken von Gedanken daran zu verschwenden, ob uns, den Menschen, das denn auch passt, aus blanker Beliebigkeitssucht und bloßer Bosheit einfach überall ins Kraut.
Obwohl sich die Birke bei ihrer Standortwahl, wie erwähnt, nicht die Bohne darum schert, wo sie denn nun wieder ihren wichtigtuerisch weißen, leuchtenden Stamm aufpfahlt und ihre giftig-hellgrünen, lächerlich winzigen Blätter herumhängen lässt; und obwohl sie partout nicht in Erwägung ziehen will, sich endlich und gefälligst mal in irgendwelche schmutzigen, dunklen Ecken zu verziehen, vulgo aus unserem Gesichtskreis abzuhauen, ja: zu verduften; ja, obwohl ihre Impertinenz und Omnipräsenz eine fraglos unübertroffene ist, gibt es Leute, die die Birke in Ordnung finden.
Diese Leute verweisen auf die russische Literatur, in der die Birke irgendeine zauberhafte atmosphärische Kulissenrolle einnimmt, oder auf irgendein zu vergessendes Märchen aus entweder Kasachstan oder Taiwan, in dem aus sieben Birken plötzlich sieben Prinzessinnen werden. Diesen Quatsch lesen naturgemäß vor allem birkeliebende Damen gern. Es sind Damen, die auch noch dergestalt für die Birke Partei ergreifen, dass sie von einem Fußballplatz in der fränkischen Metropole Lauf erzählen, der einst von hundert Birken gesäumt gewesen war. Jene hundert (!) Birken standen nur zwei Meter vom heiligen grünen Rasen entfernt und spendeten, so lautet die Mär, „einen wunderbaren Schatten“. Dann aber wurden die Birken wie üblich frech, schlugen ihre Wurzeln weiter vor ins Erdreich, unterminierten das Feld der Läufer und zernagten den planen Platz. Die Konsequenz war: Heads off! „Der Fußball hat die Birken getötet!“, jammern da die Damen noch heute.
Wir hingegen pflichten Beifall, stärkstmöglichen. Orkanartigen Beifall, der dies unzüchtige Gurkengezücht in toto, als Gattung oder Art, global hinwegfegen möchte! Solange aber solch wünschenswerte Wetterumstände nicht eintreten und gleichfalls Politik, Städte und Gemeinden nicht flächendeckend zu den vorbildlichen fränkischen Maßnahmen greifen, sind wir auf uns gestellt. Auf uns allein und die Kraft unserer Worte. Um uns wenigstens die Luft zu verschaffen, die uns die Birke nimmt. Wegnimmt. Durch ihr unkrautmäßiges, unbotmäßiges Herumwuchern, ihr gespreiztes, provozierend lässiges Hiersein, ihr unansehnliches, verwachsenes, so gespielt geducktes und doch allzu flegelhaftes Aufsprießen und breitmacherisches Sichansiedeln, das sogar zur ganzen Birkenwaldbildung führt.
Kurzum: Das Fällen der Birke ist, wie jedes Baumumhauen, ein teures Vergnügen, weil strafbar, Gedanken und Worte jedoch sind frei – und kosten nichts. Deshalb steht dem Gebot der Stunde gut zu Gesicht, die Kultur der Birkenbeschimpfung als notwendiges Regulativ zur stumm-dummen Natur (i. e. Birke) stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und ihr einige Hinweise an die Hand zu reichen.
Da das Anpflaumen der Birke vonnöten ist, um die Not der Bedrückung durch die Birke zu lindern, empfiehlt es sich, eine entdeckte Birke augenblicklich mit „Du Sau!“ zu beschimpfen. Sie hat es, ungeachtet gesonderter Umstände, verdient. Keine Rolle spielen dabei also der nähere Standort und die Größe der Birke. Ja, selbst kleine Birken, seien sie auch unbedeutende Sprießer, müssen ordentlich ausgeschimpft werden. Zum Beispiel „Fick dich!“ oder „Ja, duck dich nur, du Bastard!“ Vielleicht überlegen sie es sich dann noch mal und verschwinden wieder, bevor sie groß werden und Unheil anzetteln. Sie auszurupfen oder umzutreten ist allerdings eine Schandtat und Grausamkeit.
Größeren Birkenexemplaren darf allemal und jederzeit ein Fußstoß versetzt werden. Zur Warnung, es nicht zu weit zu treiben, dient ebenfalls das Ansägen mit einem Brotmesser oder einer Nagelfeile. Das Spätere besorgt das Grünflächenamt. Bis dahin muss die mächtige Birke demoralisiert werden. Man zerrt an ihren spirrligen Ästen, zieht sie bis zum Boden herunter, stupst einige Blätter mit der Nase voran in den Schmutz, knickt vielleicht einen exemplarischen Ast ab, wirft ihn lässig auf den Boden und spuckt auf ihn. Währenddessen fallen noch ein paar saubere Worte. Bewährt haben sich „Na, und jetzt?“, „Da sagst du nichts mehr, oder?“ und „Arschsackbaum!“.
Zur Abschreckung etwaiger „Birkenfreunde“ dies: Wer jemals eine Birke umarmt, ist mit acht Wochen Hausarrest und einem Kasten Spezi zu bestrafen. Wer bei der Behörde gegen das Abhacken von einer oder mehreren Birken Protest kundsagt, erhält eine Kopfnuss und ein Glas Winterspargel. Alle Birkenhasser und wortkräftigen Birkenterrorisierer erhalten unsere Unterstützung.
Im Gegensatz zur Birke sehr zu lieben und zu ächten, ja zu achten sind indes die Linde, der Maulbaum und das Affenbrot. Damit hier keine Missverständnisse aufkommen oder -keimen.
JÜRGEN ROTH
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