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Die Gefühlsechte

Ein Lied pro Exfreund: Alanis Morissette strapazierte bei ihrem Konzert in der Berliner Arena nicht nur die Boxen

An mangelndem Selbstbewusstsein scheint Alanis Morissette noch nie gelitten zu haben. Schon mit zehn nahm sie beim Fernsehen ihrer kanadischen Heimatstadt Toronto erfolgreich an einem Moderatorencasting teil, mit dem hier verdienten Geld nahm sie ihre erste Single auf. Das erste Album „Alanis“, das sich in Kanada sofort sehr gut verkaufte, folgte kurz nach der Führerscheinreife mit siebzehn. Schon 1996 wurde sie mit Grammys überschüttet. Und heute, mit gerade mal 28 Jahren, ist sie eine der populärsten Sängerinnen überhaupt.

Entsprechend selbstbewusst springt sie auch mit den Männern in ihrem Leben um. Kurz vor ihrer Tournee etwa hat sie ihre Band komplett ausgetauscht: Die neuen Männer dürfen nun zum Anwärmen der etwa 5.000 Fans ein wenig Noise produzieren. Und dann kommt SIE: schwarze Lederhose, knatscheng, freier Bauch, schwarzes T-Shirt und bis zur Hüfte reichende Haare, die an diesem Abend noch öfter als schwingende Lassoseile knapp vor den Gesichtern der neuen Musiker kreisen werden.

Wer leider überhaupt nicht auf so viel Frauenpower eingestellt ist, das sind die Boxen, die unter der Hallendecke hängen: Sie würden vielleicht für einen Schuhkarton ausreichen, aber nicht für die Berliner Arena, die fast ausschließlich aus Stein und Stahl besteht. Mitunter ist der Sound so miserabel, dass man meint, die Monitore auf der Bühne zu hören. Aber Alanis Morissette ist nicht zu halten. Egal, ob sie eine Gitarre umgeschnallt trägt oder nur ihr Mikro rumschleppt: Die Frau nutzt die Abende gern zum Joggen und rennt auch bei ihren Konzerten hunderte von Kilometern. Sie beherrscht sogar den Rückwärtsgang perfekt. Gut, dass nicht allzu viele Kabel im Weg liegen. Denn in einem Interview mit der Stadtzeitung Zitty bekannte sie: „Manchmal verschätzt du dich, und dann fällst du auf die Nase“.

Verschätzt hat sich Alanis Morissette wohl auch schon öfters mit den Männern. Genau das aber bildet ihr Reservoir für Texte, die ihren Girlism bis zur Hausfrau von heute trägt. Viele ihrer Songs dürften mindestens einen Hörer haben, der das Radio schnell verschreckt ausdreht, wenn vielleicht gerade die neue Frau am Küchentisch hockt. Und irgendwie ist das ja auch gerecht: Früher hatten die Frauen von Max Frisch Angst, von ihm literarisiert und dann an der Uni besprochen zu werden. Heute müssen Typen vor Sängerinnen wie Alanis Morissette auf der Hut sein. Morissette jedenfalls hat in ihrem neuen Song „Hands Clean“ nun auch noch schlimme Dinge geklärt, die ihr mit fünfzehn mit ihrem Produzenten passiert sind. Ja, er war viel älter als sie. In ihrem bekanntesten Hit „You Oughta Know“ beschimpft sie dagegen einen Exlover, der ihr Treue bis zum Tod geschworen habe. „Would she have your baby?“ Richtig nett ist die Zeile: „Are you thinking of me, when you fuck her?“ Die vielen Pärchen im Publikum drücken sich dann noch enger aneinander.

Überhaupt scheint Alanis Morissette von auffällig vielen unauffälligen Menschen gehört zu werden – von solchen, die ihre Steuererklärung korrekt ausfüllen und die sich nicht scheuen, in Esprit-T-Shirts aufzulaufen. Jemand trägt sogar ein superunhippes Grönemeyer-Tour-Shirt. Kuscheln ist angesagt, die Großwetterlage ist schon hart genug.

Irgendwie passend, dass Alanis Morissette in einer Halle auftritt, in der auch die Vagina-Monologe aufgeführt werden, bei deren US-Ausgabe sie mal mitgemacht hat. Schon wieder wirft sie ihr Langhaar herum, wieder wird irgendein Schlappi von Ex besungen. Das Publikum aber ist dankbar. Einer sagt sogar zu seinen Kumpels: Wenn die doch mal ’nen Song über mich machen würde. Ach nee, denkt man da, Alanis: Bitte schreib mir lieber kein Lied. ANDREAS BECKER

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