: Panzer im Rathaus
Mit fossilen Schildkrötenüberresten, Steinen wie dem Kinnehulle-Diabas und Live-Präparationen von Fossilien lockt die Ausstellung „Expedition Erde“ Schüler und Hobbynaturwissenschaftler ins Rathaus
Haben Sie Kinder? Dann haben Sie doch sicher auch noch einige Pfund Steine aus dem letzten Urlaub im Keller. Diese Klunker, Fossilien und Möchtegern-Dinoeier können Sie heute in der Unteren Rathaushalle ganz genau bestimmen – oder auch entzaubern – lassen: Im Rahmen der Ausstellung „Expedition Erde“, die gestern eröffnet wurde, sind heute Nachmittag Experten am Start, um Ihre Steine und Gebeine unter die Lupe zu nehmen. Und wenn aus dem Faustkeil dann doch bloß ein simpler Feuerstein wird, gibt es für die kleinen Hobbygeologen ein Trostpflaster: Jedes Kind bekommt einen Haifischzahn.
Für alle anderen naturwissenschaftlich Interessierten bietet die Ausstellung einen Überblick über die verschiedenen Arbeitsgebiete der Geowissenschaften. Sie alle haben ein gemeinsames Element: das Wasser. Sechs Themenblöcke gliedern die Ausstellung: Neue Technologien zur Ergründung des Ozeans, Ressourcen, Erdbeben und Vulkanismus, Evolution, Klima und die Landschaftsgeschichte Norddeutschlands. Auch wenn Wasser Schwerpunkt der Ausstellung ist, Experimente mit Wasser sind in der Unteren Rathaushalle nicht möglich – aus Denkmalschutzgründen.
Dafür ist das Rathaus selbst ein Ausstellungsstück. Die Fassade und auch der Fußboden der Unteren Halle bestehen aus so genanntem „Bremer Stein“. Dieser Sandstein wurde zwar eigentlich in der Nähe von Hannover abgebaut, verschifft aber wurde er aus bremischen Häfen – daher der Name.
Entstanden ist das Gestein vor etwa 140 Millionen Jahren in der Unterkreidezeit, informiert die Ausstellung. Da damals noch Krokodile und Schildkröten das Flussdelta von Obernkirchen bei Hannover bevölkerten, lassen sich noch immer viele Schildkrötenfossilien dort finden.
Heute können die Geowissenschaftler anhand dieser ‚Zeitzeugen‘ Erkenntnisse über die frühe Vergangenheit der Erde sammeln und gleichzeitig Prognosen für die Entwicklung in Zukunft aufstellen. Als die Schildkröten nämlich noch im Oberkirchener Delta hausten, stand der Meeresspiegel wesentlich höher als heute, und Norddeutschland war von riesigen Flusssystemen durchzogen. Für die Zukunft prophezeihen die Wissenschaftler ähnliche Verhältnisse. Denn allein durch die Erwärmung der Ozeane dehnt sich das Wasser soweit aus, dass der Meeresspiegel um einen Zentimeter pro Jahr steigen wird. Das Abschmelzen von Gletschern und Eisbergen hat dabei noch einen relativ geringen Einfluss, erklärt die Austellung.
Ausschließlich in die Vergangenheit blickt dagegen der Ausstellungsteil über die Gletscherwanderungen in Norden Deutschlands. Zeitzeugen sind hier die sogenannten ‚Leitgeschiebe‘. Das sind Steine, wie sie zu Hunderten an der Ostsee herumliegen, obwohl die meisten von ihnen eigentlich gar nicht nach Norddeutschland gehören, sondern irgendwann einmal von einem Gletscher mit auf die Reise genommen wurden. Der Kinnekulle-Diabas etwa, ein grünlicher Stein mit punktartigem Muster, war eigentlich im schwedischen Västergötland zu Hause. Bis die Gletscher sich vor etwa 20.000 Jahren auf den Weg gen Norddeutschland gemacht haben und die steinerne Schönheit an unseren Küsten abgelegt haben.
vvo
Die Ausstellung ist bis zum 3. September täglich von 8, sonntags von 10 bis 18 Uhr zu besichtigen. Schulklassen können sich noch unter www.wissenschaftssommer-2002.de oder bei der Hotline 0421-218 7113 für eine Führung anmelden.
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