übersetzungen im quadrat von EUGEN EGNER:
Mein Verlag versprach sich etwas davon, einen von mir verfassten Roman vor der deutschen Erstveröffentlichung in Lateinamerika erscheinen zu lassen. Eine deutsche Literaturagentin mit Spanischkenntnissen erklärte sich bereit, für die notwendige Übersetzung zu sorgen, da sie dem Verlag noch einen Gefallen schuldete.
Gut achtzehn Monate lang hörte ich nichts mehr von der Sache. Dann teilte man mir mit, mein Roman solle nun doch auf Deutsch herauskommen, das Manuskript sei aber beim kürzlich stattgefundenen Umzug des Verlags leider verloren gegangen. Der Bitte um eine Kopie konnte ich leider nicht nachkommen, denn ich besaß keine. Die Diskette mit der Sicherungskopie war von den Hühnern, mit denen ich die Unterkunft zu teilen gezwungen war, aufgegessen worden. Daraufhin fragte der Lektor die Literaturagentin, ob er die ihr überlassene Kopie des Manuskripts zurückbekommen könne, erhielt aber die Antwort, sie könne sie nicht mehr finden. Es gab keine andere Möglichkeit, als die spanische Übersetzung ins Deutsche zurückzuübertragen.
Der Auftrag wurde an eine Fachkraft vergeben, doch zum Erstaunen des Lektors kam keine deutsche, sondern eine englische Übersetzung zurück. Die Vorlage wurde nicht retourniert. Auf wiederholte Anfragen hin gab die Lebensgefährtin des Übersetzers an, dieser habe in letzter Zeit persönliche Probleme gehabt. Infolge eines tragischen Unglücksfalls seien zahlreiche Unterlagen verloren gegangen, darunter auch das spanische Manuskript. Im Lektorat existierte keine Kopie davon, leichtsinnigerweise war das einzige Exemplar verschickt worden. Mein Roman musste aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt werden.
Bereits zehn Tage später erhielt ich die Nachricht vom Verlag. Die deutsche Übersetzung sei zwar erfreulich prompt geliefert worden, habe sich aber als völlig unbrauchbar, ja als „Nichtübersetzung“ erwiesen. Um ihre Veröffentlichung zu verhindern, musste der arme Lektor in seiner Freizeit unentgeltlich und unter ärgstem Zeitdruck für eine akzeptable Übertragung ins Deutsche sorgen. Als er aber zähneknirschend damit beginnen wollte, musste er eine weitere äußerst unliebsame Entdeckung machen: die vom Übersetzer zurückgereichte englische Fassung war irrtümlich vernichtet worden. Es blieb nichts anderes übrig, als die „Nichtübersetzung“ nach Gutdünken zu glätten und mit Sinn auszustatten, was einer vollkommenen Neudichtung gleichkam.
Obwohl das Ergebnis dann ein lesbarer, in korrekter Sprache verfasster Text war und es sich angeblich um die Rückübersetzung meines eigenen Romans handelte, kam mir nichts darin auch nur entfernt bekannt vor. Ich konnte mich zwar nicht mehr an den Inhalt meines ursprünglichen Manuskriptes erinnern, denke aber doch, dass mir irgendetwas davon bei einer erneuten Begegnung hätte wieder einfallen müssen. Ich bin ganz sicher, nie etwas Derartiges geschrieben zu haben. Vergleichbare Erfahrungen können höchstens Autoren machen, deren Werke verfilmt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen