: Der Papst als Retter
aus Warschau GABRIELE LESSER
Immer wieder richten die Krakauer die Augen gen Himmel. Wie Stoßgebete wirken die Blicke: „Kein Regen! Bitte kein Regen! Nicht noch einmal!“ Vor drei Jahren waren hunderttausende Gläubige aus ganz Polen nach Krakau gepilgert, um Johannes Paul II. zu sehen und zu hören. Sie versammelten sich trotz strömenden Regens auf den Błonia, den „Wiesen“ direkt an der Weichsel – und wussten doch schon, dass der Papst nicht kommen würde. Er war gestürzt, fühlte sich unwohl. Und so standen die durchnässten Massen vor dem riesigen Altar, starrten auf den leeren Papststuhl und beteten. Diesmal allerdings nicht mit ihm, sondern für ihn.
Am Freitagabend soll die Maschine aus Rom in Krakau landen, der einstigen Bischofsstadt des Pontifex. Hier hat Karol Wojtyła studiert. Hier wurde er in der Kathedrale des Wawel, des alten Königsschlosses, zum Priester geweiht. Hier wurde er Bischof und Erzbischof. Krakau ist seine Stadt.
Bis zur großen Predigt am Sonntag sind es noch ein paar Tage. Doch wenn der Regen bis dahin nicht aufhört, werden sich die Błonia in Polder verwandeln, wo das Wasser den riesigen Altar umspülen wird. Knapp zwei Millionen Gläubige werden in Krakau erwartet. Sie kommen aus ganz Polen mit Bussen, Bahnen und zu Fuß. Manche Pilger sind schon seit zwei Wochen auf dem Weg.
Der 82-Jährige weiß, dass seine achte Reise in sein Heimatland Polen die schwierigste sein wird. Diesmal heißt es Abschied nehmen. Vom Wawel, von den Gräbern der Eltern auf dem Rakowicki-Friedhof, von der Marienkirche und dem berühmten Altar mit den fast lebensgroßen Schnitzfiguren von Veit Stoß. Und vor allem von seinen Landsleuten.
Würde es dem Land gut gehen, wäre das nicht so schwierig. Doch Polen ist kurz vor dem Beitritt zur EU in die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Wende geschlittert. Mehr als drei Millionen Polen sind arbeitslos. Das sind knapp 18 Prozent aller Arbeitnehmer. Jeder zweite Jugendliche im Alter von 18 bis 25 Jahren hat keinen Job.
Und die Pleitewelle unter den Großbetrieben Polens nimmt kein Ende. In der Danziger Werft, der Wiege der polnischen Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung, werden kaum noch Schiffe gebaut. Manchmal geht jemand ins Museum der früher so berühmten Arbeiterbewegung Solidarność. Vor ein paar Tagen hat die Werft im westpolnischen Stettin offiziell Konkurs angemeldet und mehr als 5.000 Arbeiter entlassen. Auch die Werft in Gdingen kämpft ums Überleben, die Kohlgruben in Schlesien, die Stahlhütten, einige Banken und Versicherungen.
Der Papst kommt in ein Land der Verzweifelten. Alle hoffen darauf, dass er ihnen erneut den Weg zeigt, wie bereits in den Zeiten der Volksrepublik, als er dreimal nach Polen kam – 1979, 1983 und 1987 – und ihnen Mut machte, den friedlichen Kampf um die Freiheit fortzusetzen. Mit der „Schocktherapie“ katapultierte sich Polen dann zwar innerhalb kürzester Zeit an die Spitze der Reformländer des ehemaligen Ostblocks, doch die Gesellschaft musste dabei den Gürtel immer enger schnallen. Manche haben sich bis heute von dieser Therapie nicht erholt.
Als dann auch noch die Kirche begann, sich massiv in das politische Leben einzumischen, ja selbst der Papst auf seinem Besuch 1991 fast nur gegen Verwestlichung, Abtreibung und lose Sitten wetterte, waren es die Polen leid und präsentierten dem Papst die Rechnung: Ob er eigentlich wisse, was so ein Papstbesuch die arme polnische Gesellschaft koste? Tief gekränkt verzichtete Johannes Paul II. daraufhin auf seinen Kurzurlaub in den geliebten Bergen, der Tatra, und reiste vorzeitig ab.
In dieser Krisenzeit, in der die katholische Kirche Polens auf der Suche nach ihrem Platz in der noch jungen Demokratie war, entstand Radio Maryja. Pater Tadeusz Rydzyk wollte den Gläubigen, die sich in der neuen Wirklichkeit nicht zurechtfanden, mit Rat und Tat zur Seite stehen. Priester beten gemeinsam mit den Gläubigen an den Radioempfängern zu Hause. Zweimal am Tag saß Pater Rydzyk höchstpersönlich am Mikrofon und diskutierte mit den Hörern ein politisches Thema oder lud Gäste aus rechtskatholischen Parteien ins Studio.
Damals gab kaum jemand in Polen diesem etwas obskuren „Bet-Sender“ aus Toruń eine größere Überlebenschance. Das sollte sich bitter rächen. Denn heute ist Radio Maryja nicht nur einer der populärsten Sender, sondern auch eine politische Macht. Pater Rydzyk dirigiert ein ganzes Medienimperium. Für die „Familie Maryja“, der inzwischen Millionen Katholiken in ganz Polen angehören, ist nicht mehr Primas Józef Glemp die oberste Autorität der katholischen Kirche im Lande, sondern Pater Rydzyk. Der Kirche Polens droht die Spaltung. Nur Papst Johannes Paul II. hält sie noch zusammen.
Er wird daher alles daransetzen, mit seiner großen Predigt in Krakau die Gläubigen Polens wieder zu einer Einheit zusammenzuschweißen. Die Aufgabe ist fast unlösbar. Denn Pater Ryzyk und seine Getreuen haben die Religion so sehr mit der Politik verknüpft, dass der EU-Beitritt Polens zu einer Frage des rechten Glaubens geworden ist.
Pater Rydzyk verlangt von den Mitgliedern seiner „Familie Maryja“, dass sie im Referendum gegen die Aufnahme in die EU stimmen, wenn das Europäsche Parlament die „Invocatio Dei“ – die Anrufung Gottes – nicht in die künftige Verfassung Europas aufnehmen sollte. Genau danach sieht es aber im Moment aus. Einen Aufruf Primas Glemps, selbst dann für die Aufnahme in die EU zu stimmen, würde Rydzyk als „Abfall vom rechten Glauben“ brandmarken. Einen Teil der Bischöfe hätte er wohl auf seiner Seite. Sollte dann tatsächlich die gesamte „Familie Maryja“ gegen die EU stimmen, hätte Polen seine Zukunft für die nächsten 10 oder 20 Jahre verspielt.
Karol Wojtyła, der zwar körperlich schwach, geistig aber noch immer hellwach ist, weiß, was auf dem Spiel steht: die Existenz Polens und die Einheit des Glaubens. Wie er diesmal die Quadratur des Kreises schaffen will, weiß niemand. Gegen die Invocatio Dei wird er sich kaum aussprechen können.
Ob er das Thema überhaupt anspricht? Bei seinem letzten Besuch in Polen 1999 hat er im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, ein große proeuropäische Rede gehalten und damit den katholischen EU-Gegnern den Wind aus den Segeln genommen: „Polen hat das Recht, am allgemeinen Prozess des Fortschritts und der Weltentwicklung teilzunehmen, insbesondere der Europas. Die Integration Polens in die Europäische Union wurde daher von Anfang an vom Apostolischen Stuhl unterstützt.“
Doch seine damaligen Worte scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Nasz Dziennik, die größte katholische Tageszeitung Polens, die natürlich ebenfalls zum Medienimperium Pater Rydzyks gehört, setzt den „wahren Katholizismus“ mit Antieuropäertum gleich. Denn Europa sei der Sündenpfuhl schlechthin. Dort gebe es kaum noch wahre Christen. Vielmehr seien Abtreibung und Euthanasie an der Tagesordnung. Homosexuelle könnten heiraten und sogar Frauen Pfarrer werden. Der Papst muss nun die Maßstäbe wieder zurechtrücken und den Polen Kraft geben, wieder an sich selbst zu glauben.
Bischof Tadeusz Pieronek, Rektor der Päpstlichen Akademie in Krakau und einer der wichtigsten Repräsentanten der katholischen Kirche in Polen, ist sich fast sicher: „Er wird kommen, um den Polen Gott wieder nahe zu bringen, ihnen ein bisschen Trost und Hoffnung zu geben, so dass sie nicht nur darüber klagen, dass ständig alles schlechter wird. Denn so schlecht es nun auch wieder nicht.“ Dass die große Predigt in Krakau eine Art Testament sein wird, sagt er nicht.
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