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Our Master‘s Voice

50 Millionen Fans konnten sich schon in den Fünfzigerjahren nicht irren. Eine Milliarde Fans weinten, als der King vor 25 Jahren in Graceland starb. Noch so einen Elvis könnte heute keine Welt verkraften

Ja, die Welt ist besessen von dem Crooner, dem Muttersöhnchen

von JENNI ZYLKA

Presley, Elvis Aaron. Er hängt als Wanduhr in netter Menschen Küchen und shaket zum Sekundentakt die Hüften. Er klebt als Miniwackelpuppe in Fahrerkabinen spießiger Bankbeamtenautos. Er leiht seine Vornamen Jungen und Männern aller Altersstufen, seine gewagten Glitter- und Stretch-Outfits unzähligen Imitatoren, seine Hits der globalen Musikbox und sein Leben amerikanischen Legenden: Die meisten Menschen wissen über Elvis mehr als über einigermaßen enge Freunde.

Weil er schon 25 Jahre tot ist, konnten seine Post-mortem-Devotionalien mehr Geld einspielen als die unglaublichen Summen, die er zu Lebzeiten mit Platten, Filmen und Auftritten verdient hat. Was wäre passiert, wenn nicht Elvis, sondern zum Beispiel Bill Haley oder Buddy Holly den Spot des weißen Rock-’n’-Roll-Stars besetzt hätten? Wären die hornigen „Buddy“-Brillen schon längst wieder aus der Mode? Würde man dickliche Familienväter mit Schmalztolle als „Bill-Typ“ bezeichnet? Doch Elvis war zum Glück zur Stelle. In einer Welt ohne Elvis-Figur möchte man doch gar nicht leben, wenn man es sich richtig überlegt, in einer armen, „Love me tender“-losen Welt, in der Erdnussbuttersandwiches einfach nur Erdnussbuttersandwiches sind, kaum Menschen Cadillacs sammeln und in der die unbekannte Farmschönheit Priscilla Beaulieu irgendwo in den USA untergegangen wäre, anstatt mit Leslie Nielson in Komödien zu spielen. Sogar Michael Jackson, auch so eine allgemeingültige Populärmusik-Erscheinung, hätte nicht gewusst, wen er zwischendurch mal heiraten soll, um von seinen Affen-und-kleine-Jungs-Affären abzulenken. So bekam Jackson Lisa-Marie Presley und die Welt eine merkwürdige Lovestory mehr.

Es gibt eine hübsche Geschichte über das Treffen zwischen dem King und den Beatles im Sommer 1965, in dem die Beatles ihn in Hollywood besuchten. Sie fuhren zu seinem Haus in Bel-Air, hockten sich mit ein paar Gitarren (leider ohne Schlagzeug, Ringo Starr saß also nur dumm herum) in sein Wohnzimmer und machten zusammen bis zwei Uhr morgens Musik. John Lennon, der Elvis’ Humor angeblich immer mochte, sagte kurz nach dem Treffen zu den Journalisten, dass das Ganze „a load of rubbish“ gewesen sei. Und Elvis erzählte 1970 Richard Nixon bei einem Meeting im Oval Office, dass die Liverpooler Jungs seiner Ansicht nach eine starke antiamerikanische Macht darstellten: sie seien nämlich „sehr unamerikanisch, und sie nehmen Drogen“. Wahrscheinlich meinte Lennon genau das mit Elvis’ speziellem Humor. Denn schließlich, wer wurde später voll gepumpt mit Drogen halb tot auf seiner Toilette gefunden? Yes, Sir, the King is dead, long live the King.

Auch ohne die Elvis-Filme, in denen er in den 60ern herumgestakst ist, anstatt sich mit Musik zu beschäftigen, kann man eigentlich nicht leben und glücklich sein. Was sollte man sonntags nachmittags verkatert gucken, wenn richtige Filme mit richtigen Darstellern und richtigen Handlungen zu schwer sind? Und wo sollten all die kleinen Pseudoschauspielerinnen in Bikinis und Gogo-Boots, die bei den Musiknummern neben Elvis hin und her hüpften, stempeln gehen?

Die Allgemeinheit braucht Elvis also, sie lebt mit und von seinen Legenden, genau wie die Musikindustrie, seine Erben, die Popgeschichte, die Graceland-Maschinerie, die Epigonen und Themenparty-Veranstalter. Aber der Mann ist clever, und the world is not enough: er macht sich offiziell in sämtlichen Kunst- und Musikbereichen breit, hat sich in Bücher, Bilder, in Beat, Pop und Disco (aktueller Hit: „A little less conversation“, Elvis vs. JXL) geschlichen, sogar in den Untergrund-Blues: Der „Birthday Party“-Kopf Nick Cave hat nicht nur „In The Ghetto“ gecovert, sondern seine zweite Platte mit den Bad Seeds „The Firstborn Is Dead“ genannt, nach Elvis’ totem Zwillingsbruder Jesse Garon, das Eingangsstück ehrt Elvis’ Geburtsörtchen Tupelo in Mississippi. Das war 1985, da war Elvis zwar erst acht Jahre tot, aber schon genauso lebendig wie später, als immer mehr Filme mit Elvis-lebt-Storys angereichert wurden oder Elvis-Imitatoren auftauchten, Komödien, die bevorzugt in Las Vegas, bei „Elvis-Meetings“ spielen, und Actionfilme, in denen Elvisse Banken ausrauben oder wie ein Geist auftauchen und gute Ratschläge geben. Elvis lebt nicht nur, Elvis klebt.

Ja, die Welt ist besessen von dem Crooner, dem Hillbilly, dem Muttersöhnchen. Vielleicht verzeiht sie ihm darum auch all die schaurigen Dinge, die er getan hat, ohne rot zu werden: einfach sauschlecht geschauspielert. Las-Vegas-Shows gebracht, in denen herumgegackert wurde. Nur die allerblödesten Drogen der Welt genommen. Den wahren, schwarzen Rock ’n’ Rollern alles, aber auch alles abgekupfert und geklaut. Sich dick mit Kajalstift die Augeninnenseiten schminken lassen. Mindestens einmal live den Text von „Are You Lonesome Tonight?“ vergessen. Groteske Anzüge um den qualligen Leib geschlungen. Sich bewusst zu dieser Figur stilisieren lassen, die in ihrer Vom-armen-Muttersöhnchen-Lastwagenfahrer-zum-Multi-Multi-Milliardär-Linie so amerikanisch wie unglaubwürdig ist und dazu noch mit dem Erschaffer und „Manager“ Colonel Tom Parker einen öffentlich bekannten Marionettenspieler vorweist. Überhaupt, dieser ominöse Illusionist Parker und seine ominösen tanzenden Hühner! Wenn einer Hühnchen auf heiße Herdplatten setzen (andere Quellen behaupten, es sei ein elektrisch geladenes Netz gewesen) und für ihr Herumsteppen Geld nehmen kann, dann gehört er entweder ins Massentierhalter-Gefängnis oder mit einem Supersonderorden für die beste Legenden-Erfindungsgabe ausgezeichnet. Colonel Parker machte, dass Hühner tanzen, dass junge, schüchterne Lkw-Fahrer ihre Hüften schwingen, bis ganz Amerika flachliegt, und danach Milliarden von Dollars in seine und in die Taschen von mit funkelnden Brillanten besetzten, weißen und bunten Schlaghosen-Glitzer-Overalls flossen. Das soll ihm erst einmal einer nachmachen. Beziehungsweise lieber nicht: Noch so einen Elvis könnte auch keine Welt verkraften.

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