: Ausradiert und bepinkelt
„Kunst nach Kunst“, die große Sommerausstellung in der Weserburg, zeigt Konzeptkunst des 20. Jahrhunderts. „Masturbation!“ rufen die einen, „theoriebildende Auseinandersetzung!“ die anderen
Große Aufregung: Marcel Duchamp verkauft Mona Lisa-Postkarten mit Schnurrbart. Was für ein Spaß im Jahr 1919. Eine Provokation, die weniger eine Auseinandersetzung mit Leonardo da Vinci bedeutete, als vielmehr eine Kritik an dem System Kunstmarkt. Duchamp schärfte den Blick für gedankliche Spielereien mit der Kunst.
Dass sich ähnliche Späße durch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch fortsetzten und durchaus ernst zu nehmen sind, zeigt die Ausstellung „Kunst nach Kunst“ in der Weserburg. Duchamp ist dort nicht ausgestellt, wohl aber Flaggschiffe wie Jackson Pollock, Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Joseph Beuys, Robert Indiana und Gerhard Richter. Und jeder rechnet mit jedem ab.
Bekanntestes Beispiel: Warhols Umgang mit Pollock. Warhol legte wie Pollock die Leinwand auf den Boden und bemalte sie mit goldglänzender Metallfarbe. Dann sprang er darauf herum und bepinkelte die Leinwand. Bald darauf lud Warhol Freunde zu sich ein, damit auch sie „mitpinkelten“. So entstand 1978 die Serie „Oxidation Painting“. Warhol veralbert Pollocks Technik des Action-Paintings, könnte man im ersten Moment meinen. Doch die Ausstellungsmacher sehen darin eine besondere Art der Rezeption. Warhol erweitere, so wird im Begleitkatalog argumentiert, die Bedeutungsebenen Pollocks. Das Phänomen des abstrakten Expressionismus könne nun mit anderen Augen gesehen werden. Eine Abrechnung durch Nachahmung. So festige sich Pollocks kunsthistorische Rolle und gewinne an Bedeutung für jüngere Künstler.
Ein anderes Beispiel: 1953 bat der 28-jährige Robert Rauschenberg Willem de Kooning, den damals wichtigsten Künstler der Moderne, um eine Zeichnung. De Kooning verstand sofort worum es ging und händigte dem jungen Kollegen eine teure und schwer ausradierbare Zeichnung aus. Rauschenberg verbrauchte in vier Wochen einen ganzen Haufen Radiergummis, um de Koonings Werk im Wortsinn auszuradieren. Es entstand ein beinahe leeres Blatt, auf dem man noch Spuren der Zeichnung sowie der Radierarbeit erkennen konnte. „Erased de Kooning Drawing“ war geboren. Deutlich wird auch hier das Konzept „Kunst nach Kunst“: Rauschenberg schuf eine eigenständige Arbeit, die den großen de Kooning zwar in Frage stellt, ihn jedoch nicht von seinem Sockel stößt. Nicht Auslöschung findet hier statt, sondern Ablösung.
„Kunst nach Kunst“ hinterfragt, ironisiert und entwickelt weiter. Eine Auswahl größtenteils jüngerer Künstler spielt hier mit Vorbildern aus der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Kunst, die mit sich selbst spielt. Spiralartig windet sich eine Bedeutung um die andere. Politisch wird „Kunst nach Kunst“ nur am Rande, finden Bremer Kunststudenten und lästern: Da besorgen es sich die Künstler doch gegenseitig: „Masturbation!“ rufen sie. Peter Friese, Kurator der Ausstellung, findet diese Vorwürfe fruchtbar. Fast geschmeichelt fühlt er sich von den Argumenten seiner Schülerschaft.
Denn genau diese intellektuelle Auseinandersetzung fordert er von den Besuchern seiner Ausstellung. Dem Vorwurf „Kunst nach Kunst“ sei völlig unpolitisch, begegnet er mit einem Beispiel von Albert Oehlen. Auf der 1986 entstandenen Zeichnung „Tuben (Mit Baumstudie in einem Rahmen)“ unterhalten sich zwei Farbtuben. Die eine sagt zur anderen: „Ich habe Felix Droese geholfen, Anne Frank zu töten.“ Darauf die andere: „Ich auch.“ Oehlen bezieht sich hier auf die Arbeit „Ich habe Anne Frank umgebracht“ von Droese, die dieser 1982 auf der Dokumenta zeigte. Droese, der seine Kunst als politisches Instrument ansah, wird von Oehlen scharf angegriffen. Er verarscht die politisch „überkorrekte“ Aussage, die Deutschen seien alle Schuld daran, dass Anne Frank getötet wurde. Oehlens Tuben kratzen sarkastisch an der dezidiert moralischen Position Droeses.
An einer anderen Stelle wird „Kunst nach Kunst“ interaktiv. Ein Aufruf zum Mitdenken in Form eines Preisausschreibens. Etliche Alltagsgegenstände sind dort zusammengetragen. Eine Leiter steht da, oder eine Rolle Filz. Auch Cola Dosen auf einem Kühlschrank. Wer den alltäglichen Gebrauchsgegenständen einen bedeutenden Künstler des vergangenen Jahrhunderts zuordnen kann, gewinnt einen Katalog zur Ausstellung.
„Kunst nach Kunst“ ist eben nicht nur Schlawenzelei durch bemalte und abstrakt behängte Wände. „Kunst nach Kunst“ verlangt eine bewusste und vor allem wissende Wanderung durch Objektgruppen, Bilderserien und Filmprojektoren. Im zweisprachigen Begleitkatalog sind all die Geschichten, Hintergründe und Bedeutungsebenen zusammengefasst. Um wirklich keine noch so winzige Anspielung zu versäumen, ist der Katalog unbedingt erforderlich. Und Marcel Duchamp? Sein Ausspruch „Kunst sollte nichts mit eindeutigen Theorien gemein haben“, ist auf die über 40 Werke der Ausstellung anwendbar.
Hannes Krug
„Kunst nach Kunst“eröffnet am Sonntag um 11.30 Uhr im Neuen Museum Weserburg, Teerhof 20. Geöffnet ist sie bis zum 3. November, Di bis Fr 10-18 Uhr, Sa und So 11-18 Uhr. Der Eintritt kostet 5, der Katalog 25 Euro.
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