: Arme, arme Kinder
Arbeitnehmerkammer stellt Armutsbericht für Bremen vor: Betroffen sind vor allem Jugendliche. Trotzdem, das Bremer Durchschnittseinkommen ist Spitze
Jeder fünfte Bremer unter 18 Jahren lebt von Sozialhilfe. Das ist das Ergebnis eines „Armutsberichtes“, den die Bremer Arbeitnehmerkammer gestern vorstellte. Ende 2000 bezogen danach 18.000 Jugendliche „Stütze“. Das Einkommen von weiteren 10.000 Heranwachsenden liege knapp über der Sozialhilfegrenze, schätzt die Kammer.
Bremen ist damit das Bundeland, wo arm und reich am weitesten auseinander klaffen. Denn der Städtestaat liegt sowohl beim Anteil der Sozialhilfeempfänger, als auch beim Einkommensdurchschnitt bundesweit an der Spitze. Obwohl den BremerInnen im Schnitt mehr Geld pro Kopf zur Verfügung steht als den BürgerInnen in anderen Bundesländern, sind 91 von 1.000 auf Sozialhilfe angewiesen.
„Wir wollen provozieren und Armut damit wieder zu einem öffentlichen Thema machen, auch wenn das nicht zum Bild der Bremer Boomtown passt“, rechtfertigte gestern Geschäftsführer Heinz Möller das ungewöhnliche Engagement der Arbeitnehmerkammer. Die CDU hatte es im Mai 2001 abgelehnt, den Senat zur Vorlage eines Armutsberichts für Bremen zu verpflichten. Möller: „Wenn die Politik es nicht macht, dann machen wir es eben selbst.“
Insbesondere die große Anzahl jugendlicher Sozialhilfe-EmpfängerInnen findet Autor Peter Beier „skandalös“. Kinder und Jugendliche hätten besonders unter der Armut zu leiden. Arme Kinder hätten schlechtere Chancen auf eine gute Bildung, auch im Alltag würden sie oft ausgeschlossen. „Hier beginnen die Armutskarrieren“, sagt Beier. Die Mitgliedschaft im Sportverein etwa sei für viele SozialhilfeempfängerInnen nicht finanzierbar. Beier fragt: „Woher sollen die selbstbewussten, engagierten Menschen in zehn Jahren kommen, wenn heute 20 Prozent der Jugendlichen ausgeschlossen vom gesellschaftlichen Leben aufwachsen?“
Die Kritik der Arbeitnehmerkammer richtet sich vor allem gegen die „verfehlte Investitionspolitik“ in Bremen. Statt in Arbeitsplätze und Bildung habe man vor allem Geld in Prestige-Projekte und eine schickere Innenstadt gesteckt. Die Politik müsse bessere Rahmenbedingungen für Eltern, vor allem Alleinerziehende, schaffen, forderte Möller. Oftmals seien diese nur auf Sozialhilfe angewiesen, weil sie ihre Kinder betreuen müssten. Möller: „In Bremen gibt es lediglich für sieben Prozent aller Kinder unter drei Jahren einen Krippenplatz.“
Kritik äußerte die Arbeitnehmerkammer auch an Sozial- und Arbeitsamt. Arbeitslose sollten durch bessere Qualifizierung zurück in Brot und Arbeit gebracht, anstatt „in Billigjobs geprügelt“ zu werden. Rund zehn Prozent der Bremer Sozialhilfe-EmpfängerInnen sind derzeit im sogenannten Niedriglohnsektor tätig und verdienen zu wenig, um davon zu leben.
Die Arbeitnehmerkammer kündigte an, in Zukunft jedes Jahr einen Armutsbericht für Bremen vorzulegen.
Verena von Ondarza
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