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Hartzer Roller rück- oder vorwärts?

Ginge es nach den gestern veröffentlichten Vorschlägen der Berliner Kommission, würde sich die Arbeitslosigkeit im Land Bremen bis 2005 auf 20.000 halbieren. Die Stadt streitet derweil entlang der Parteilinien, ob das Konzept funktionieren kann

Die Grünen wollen die Einrichtung eines „Runden Tischs für Arbeit“ fordernCDU-Chef Bernd Neumann meint: Hartz ist „ein Schuss in den Ofen“

Bremen ist geteilter Meinung, ob die Pläne der Hartz-Kommission die Arbeitslosigkeit senken können – noch bevor jemand die 343 Seiten des Konzepts hätte studieren können. Gut 46.000 Menschen waren im Juli 1998 im Land Bremen arbeitslos gemeldet, immerhin 6.000 mehr als im Juli 2002. Laut VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz, der die Zahl der Joblosen binnen drei Jahren um die Hälfte reduzieren will, gingen in Bremen im Juli 2005 nur noch 20.000 stempeln. Kann das funktionieren?

Hartz sei der „erste gelungene Aufbruch gegen den gesellschaftlichen Skandal Arbeitslosigkeit“, hatte der Bremer SPD-Chef Detlev Albers am Donnerstag getönt, als er die Pläne zusammen mit Personalchefs Bremer Firmen präsentierte. „Die sollen nur „helfen, dass das Boot bei der Bundestagswahl nicht völlig sinkt“, meint CDU-Landesvorsitzender Bernd Neumann. Und: Alles sei „ein Schuss in den Ofen“.

Allerdings, so Neumann, sei eine Hälfte Hartz durchaus brauchbar: So die Entbürokratisierung der Arbeitsvermittlung und das Absenken der Zumutbarkeitsgrenzen für Arbeitslose. Als „abwegig“ bezeichnete Neumann hingegen die geplante Personalserviceagentur (PSA), eine Art öffentliche Zeitarbeitsfirma. Neumann: „Das führt zur Verstaatlichung der Arbeitslosigkeit“. „Das Papier geht am Kern des Problems vorbei“, meinte auch Dirk Plump, Präses der Bremer Handelskammer. Nicht eine schlankere Arbeitsvermittlung sei dringlich, sondern neue Jobs. Also: „Die politischen Rahmenbedingungen müssen geändert werden.“ Ansonsten sieht die Handelskammer in den Hartz-Plänen nichts als „Wahlkampfgetöse“. Dem schließt sich das Bremer Wirtschaftsressort an. „Es ist ja zwei Minuten vor, wenn nicht nach zwölf“, sagt eine „skeptische“ Wirtschafts-Staatsrätin Sibylle Winther. Weniger Arbeitslosigkeit werde Hartz „kaum schaffen – das muss der Markt machen“. Das Konzept habe zwar positive Ansätze, wichtiger sind für die CDU-Frau jedoch die „Senkung der Lohnnebenkosten, Deregulierung – und vor allem ein Konjunkturaufschwung“.

Das Bremer Arbeitsressort sieht das anders. Senatorin Karin Röpke (SPD) „begrüßte“ die geplante schnellere Vermittlung von Arbeitslosen: „Die Neuorganisation der Arbeitsämter zu Jobzentren, die als einheitliche Anlaufstellen dienen sollen, ist ein Reformschritt in die richtige Richtung“, sagte Röpke. Jetzt komme es darauf an, das Konzept schnell umzusetzen.

An diese Worte wird sie Anja Stahmann bei der nächsten Sitzung der Arbeitsdeputation erinnern. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen will dann die Einrichtung eines „Runden Tischs für Arbeit“ fordern. Stahmann: „So wie das Gremium, das Lemke für die Bildung eingerichtet hat. Hier soll geprüft werden, wie sich die Vorschläge für Bremen umsetzen lassen.“ Nach Stahmanns Vorstellungen sollen unter anderem Experten vom Arbeitsamt, Praktiker aus der Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenvertreter, Gewerkschafter und Unternehmensverbände teilnehmen.

Auch Stahmann begrüßt das Hartz-Konzept, „wenn es nicht zu Leistungsabbau für Arbeitslose führt“. Geradezu „revolutionär“ findet sie vor allem die geplante Beschwerdestelle, die Klagen über das Arbeitsamt entgegen nehmen soll. Aber auch Stahmann ist skeptisch, ob Hartz die Arbeitslosigkeit tatsächlich halbieren kann. „Zwei Tage vor ihrem Rücktritt wegen des BSE-Skandals hat die damalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer noch gesagt: ‚Die deutsche Wurst ist sicher‘.“ Kai Schöneberg

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