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Die Partei „Neue Türkei“ holt sich eine Abfuhr

Der frühere türkische Wirtschaftsminister Kemal Dervis lehnt einen Eintritt ab. Grund ist ein Streit über das Wie einer Bündelung der linken Mitte

ISTANBUL taz ■ Ein Fiasko für die türkische Linke, kommentierten gestern viele Medien die Entscheidung des Exwirtschaftsministers Kemal Dervis, nun doch nicht in die von Exaußenminister Imail Cem gegründete Neue Türkei Partei einzutreten. Dervis, derzeit herausragender Politstar und größter Hoffnungsträger der westlich orientierten Elite in der Türkei, begründete seine Absage an Cem damit, dass dieser sich seinem Projekt einer Fusion mehrerer linksliberaler bürgerlicher Parteien verweigert habe.

Die Gründung der „Yeni Türkiye“ Partei vor wenigen Wochen galt als Startsignal für einen Zusammenschluss aller pro-europäischen, westlich orientierten Kräfte in der zersplitterten türkischen Politszene. Auf einer Pressekonferenz erläuterte Dervis noch einmal, warum er eine Bündelung der Kräfte vor den Wahlen am 3. November für entscheidend hält. Eine zersplitterte linke Mitte wäre nicht in der Lage, gegenüber dem rechtsnationalistischen und konservativ-islamischen Lager eine regierungsfähige Mehrheit zusammenzubekommen. Man müsse dem Wähler aber rechtzeitig zeigen können, wer in einer künftigen Regierung welche Aufgaben übernehmen soll.

Dervis hatte zuvor wochenlang versucht, Cems Yeni Türkiye und die Republikanische Volkspartei (CHP) unter dem Vorsitz von Deniz Baykal zu fusionieren. Das Projekt scheiterte, weil beide Parteichefs auf dem Vorsitz nach einer Fusion bestanden und nicht auf Dervis Vorschlag eines routierenden Vorsitzes eingehen wollten. Dervis ließ allerdings durchblicken, dass er allein die CHP für erfolgversprechender hält und er sich nun wohl in der CHP engagieren werde.

Für Ismail Cem ist das ein schwerer Schlag, da ihm nun seine Unterstützer davonzulaufen drohen und seine Partei bei den Wahlen an der 10-Prozent-Hürde scheitern könnte. Alle Umfragen signalisieren einen großen Vorsprung der konservativ-islamischen AK-Partei, die nach ihrer Gründung vor gut einem Jahr ebenfalls erstmals bei Wahlen antritt. Vor allem auf dem Land und unter der armen Bevölkerung genießt die AK-Partei großes Vertrauen. Ihre Führung hat in den letzten Wochen immer wieder betont, die Partei wolle anders als ihre Vorgänger keine religiöse Sammlungsbewegung mehr sein, sondern eine normale bürgerlich-konservative Partei. Man unterstütze die EU-Mitgliedschaft der Türkei und sei auch bereit, den USA türkische Militärstützpunkte für einen Angriff auf den Irak zur Verfügung zu stellen. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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